Ich hielt mir öfter die Augen zu als bei einem Horrorfilm. In einem Maße peinlich ist Jerks, von dem ich niemals dachte, das im Fernsehen zu sehen. In Scham versinke ich, während Lachtränen kullern. Hier reden sie über Mösen und Sex mit Behinderten, nennen sich Spastis und Spacken, wichsen vor kleinen Kindern und verletzen Sozialwissenschaftler, und so infantil das klingt, so infantil ist das auch, zugleich aber auch von einer Menschlichkeit beseelt, die dem Peinlichen ein bisschen Tragik verleiht.
Christian Ulmen spielt eine fiktive Version von sich selbst. Fahri Yardin auch, eigentlich ziemlich viele, die in Jerks mitwirken. Getrennt von Collien Fernandes, lebt er nun mit Emily (Emily Cox) zusammen; wobei das Zusammenleben anfangs nicht so klappt, da Ulmen den vorherigen Besitzer des neuen Hauses als Kinderschänder hinstellt. Zumindest irgendwie.
Das sind so Sätze, von denen ich dachte, sie niemals schreiben zu müssen. Aber im Auftakt der ersten Folge geschieht diese absurde Situation halt einfach so nebenbei – so abstrus das auch klingt. So sehr Ulmen hier ins Fettnäpfchen tritt: Er meint es nicht böse. Das macht es so lustig. Und eben sehr, sehr tragisch.
Wenn mir jemand einen schlechten Witz erzählt, kontere ich mit einem noch schlechteren, da bin ich ohne Reue, schließlich lacht man ohnehin viel zu selten, weil einem ja auch irgendwie mehr und mehr die Gründe dafür ausgehen, deswegen pupst und pimmelt es gewaltig in meinem Humor. Blicke ich zurück, nun so halb-erwachsen, huiuiuiui, Mensch, ich schlidderte wirklich häufig in Situationen, in denen mein Gegenüber mich anblickte, als hätte ich ihm oder ihr auf die Stirn gekackt.
Christian Ulmen kackt fast allen Menschen auf die Stirn, wenn es denn nach den Blicken geht. In größtenteils improvisierten Dialogen schlängeln sich alle Beteiligten immer tiefer in die Fremdschamspirale. Da ist es, dieses Wort: Fremdscham. Es bringt Jerks wirklich genau auf den Punkt, und in der Intention, genau das bei dem Zuschauer hervorzurufen, glänzt die erste Eigenproduktion von Maxdome heller als jede andere Ulmen-Produktion. Ganz bewusst und mit Anlauf wird der Zuschauer gefordert, von vorn bis hinten, vom Penis bis zur Scheide, von rassistischen Franzosen bis behinderten Frauen; alle dürfen einmal Zielscheibe werden für Witze, wobei das nicht einmal stimmt, denn obwohl man darüber lacht, ist der Grund dafür nicht unbedingt das Gesagte, sondern die Situation drumherum, das Peinliche eben, das aus den Blicken, den Gesten und den Reaktionen von Sido, von Emily, von Fahri oder von Nora Tschirner resultiert.
Spätestens dann, wenn ein Mann zwingend Geschlechtsteile sehen möchte, hinterfragt man es.
Die Verlierer in dieser unendlichen Schleife von Lügen und Erwischtwerden: die Männer. Beim Masturbationskurs der Frauen möchte Ulmen nicht gehen, solange er nicht vier Mösen gesehen hat, schließlich war das ja die Rechnung, der Deal, den er vorher mit Fahri geschlossen hat. Eine stete Zurechtweisung ist dann auch Teil von Jerks, ausgehend von den Frauen, deren Männer man gerne mal eine Verhaltenstherapie wünscht – dann aber wieder doch nicht, weil es zumindest manchmal so natürlich, so normal, immer aber brüllend komisch ist, wenn sie sich wieder einmal benehmen wie ein Affe auf einer Beerdigung.
Ulmens Regie trifft dabei einen Nerv: Er lässt machen, auch wenn es wehtut. Da schmerzt es fast, wenn Fahri Yardim einem 12-jährigen Jungen Tipps für die Selbstbefriedigung gibt. In der ausgestellten Peinlichkeit und der nahe an der Grenze des guten Geschmacks kriechenden Situationskomik fällt auf, dass selbst jene problematische Szene dann doch nur ein Beweis männlicher Tragik ist, die auf einem Kind aufbaut, das einem die Frau wegschnappen kann. Dass das so gut klappt, in all der hüllenlosen Herrlichkeit, zeugt von geradezu sündig agierenden Darstellern.
In ihrer unbeholfenen Motivation, ständig jedem gefallen zu wollen, brillieren Christian Ulmen und Fahri Yardim. Wie sie eingeschüchtert stottern, sich anschwärzen, kumpelhaft beleidigen, sanft Radio machen oder kindlich Drogen nehmen wollen, ist schlicht fabelhaft. Nebendarsteller wie Larissa Rieß als ungehobelte Managerin, die dem Ordinären eine ungewohnte Attraktivität schenkt, und Emily Cox, die sehr viel ertragen muss in Jerks – sie meistern dieses archaische Aufeinandertreffen ängstlicher, kleingeistiger Männer mit tollem Schauspiel. Hin und wieder stark konstruierte Alltagssituationen können aber auch sie nicht vertuschen.
Jerks polarisiert, was total bräsig klingt, weil mittlerweile sogar Marvelfilme polarisieren, in denen außer groß zelebrierte Stagnation eigentlich nichts Interesses, Streitbares anhaftet, aber hier stimmt es ausnahmsweise einmal. Ohne Drehbuchdialoge und enger Erzählung kann das Interesse schon nach der ersten Folge verschwinden, sich an dem Humor zu stören ist ebenfalls sehr leicht und durchaus verständlich, doch die Verschrobenheit von Jerks kann tief blicken lassen in moralisch ambivalente Situationen, mit denen man selten konfrontiert wird, sie aber dennoch unbedingt durchleben sollte – was hier genau so passiert: Gerade die letzten Folgen prüfen die eigene Moral auf Unebenheiten, auf Ecken und Kanten, die dem entsprechen, was Ulmen und Yardim hier so ungeschönt auskosten. Ist das jetzt okay oder nicht und darf man das so sagen?
Wichser hin, Möse her. Kennt man nun doch schon. Wer sich an verbaler Abrüstung schwertut, im Sinne von abbauender Intellektualität, der wird sich ärgern über Jerks. Bediene ich hier erneut eine Floskel: Dahinter steckt so viel mehr. Menschliche und moralische Abgründe, so weit das natürlich in privilegierten Kreisen abgründig sein kann, finden in Jerks ein wohltuendes Anderssein, in dem ich einige meiner Lachanfälle unter vorgehaltener Hand nur schwerlich ertragen konnte.
Das ist Komik, wie man sie selten sieht. Wie man sie vermutlich auch in Zukunft nicht häufiger sehen wird. Weil Jerks zu abgründig, zu hochmoralisch, zu gefickt eingefädelt ist, als das es Quoten- und Abonnentenrekorde zu brechen vermag.
Traurig ist das nicht. Im Abgrund des befotzten Schamgefühls länger zu verweilen, hält kaum jemand aus. Deswegen sollte die Dosis Christian Ulmen bewusst niedrig gehalten werden – sie knallt ohnehin schon konkurrenzlos gut.