Arrival ist ein Film von seltener Schönheit. Er erinnert mich an das, was war, ist und kommt. Lässt mich erneut durchleben, wie ich Filme kennen, schätzen und dann lieben lernte. Sagt mir, wie sich mein Leben dadurch veränderte. Ich lernte viel und fürchtete mich noch mehr; ich verstand vieles und begriff noch mehr. In den manchmal umwerfenden, oft auch verwirrenden Erinnerungen liegt stets etwas Großes verborgen, das ich in der schieren Masse der Filme nicht mehr erkannte: das Erweitern meines Lebens durch jeden einzelnen Film.
Wann ich nicht mehr bemerkte, wie mein Leben durch sie beeinflusst wird, weiß ich nicht mehr. Vielleicht, als ich erkannte, dass Film oft auch Maschinerie bedeutet, Gewinn und Verlust, Marketing und Marktanpassung, Fortsetzung und Spin-Off, Blablabla und Blublublu. Mehr Produkt als Leidenschaft, mehr Gier nach Trophäen als „Befriedigung“ der Zuschauer. Halt so Kalkulation. 9Live-Schreierei eben.
Als Bengel wusste ich doch nicht, wie das funktioniert. Ich sah und erlebte, da war noch kein Hauch von Konsum, sondern ein fortwährendes Erfahren, Verändern. Meine Bruder nahmen ihre Sorgfaltspflicht nicht so genau, wenn meine Eltern uns allein ließen, verwechselten Verantwortung mit Aufdiekackehauen, wobei die Kacke in diesen Fällen meine Psyche war, die durch Charaktere wie Freddy Kruger, die Mörderpuppe Chucky oder die Teufelsbrut aus Evil Dead brutal litt. Das zeigt sich sogar heute noch: Als Kind schaukelte ich mit dem Kopf von links nach rechts, immer wieder, links, rechts, links, rechts, weil ich so die Stille übertönte und nichts hörte, falls mich irgendwer von den fiktiven Figuren aufschlitzen, misshandeln oder köpfen wollte, was meiner Meinung nach total logisch war, weil mein Zimmer direkt an den zweistöckigen Dachboden grenzte, in der eine Puppe lag, von der man sagen könnte, Gollum habe sie mit Adam Driver gezeugt.
Diese Angewohnheit, das Schaukeln, das Wegschütteln meiner Angst, kann ich bis heute nicht ablegen. Zumindest habe ich es soweit unter Kontrolle, dass ich es nicht zum Einschlafen brauche, sondern nur manchmal unbewusst im Schlaf mache – ein deutliches Zeichen kleiner psychischer Schäden ist das allemal. Zu Beginn dieser Leidenschaft stand also die Angst, die kindliche Angst, die oft noch viel schlimmer ist als die erwachsene, weil wir damals so sicher waren, dass die Monster existieren.
In Arrival ist die Angst ebenfalls zuerst da. Sie landen mit ihren Schiffen auf der Erde, sagen kein Wort. Trotzdem fürchtet sich die Menschheit. Experten kommen, das Militär sowieso und die Medien berichten ohne Pause, obwohl das eigentlich Berichtenswerte ganz woanders stattfindet. Bis jemand ballert, dauert es, erfreulicherweise sind es sogar nur wenige Kugeln, was man betonen sollte, schließlich zeigt die Ankunft von Außerirdischen im Filmgeschäft (oder vielmehr: im Blockbuster), wie die Menschen töten, bekriegen, massakrieren, als wäre das die einzige Option der barttragenden Befehlshaber.
Die Geschicke der Menschheit leiten viele, zwischenzeitlich angeführt von Amerika, was ermüdet, denn ein amerikanischer Film über die Macht von Amerika, in dem Amerika im Antlitz der im Wind wehenden Fahne die ganze Welt, besser noch: die Welt und die Aliens rettet, das kennt man schon zur Genüge. So verkrampft bleibt Arrival nicht, im Gegenteil: Genüsslich setzt Regisseur Denis Villeneuve Fährte um Fährte, die nach Konflikt, Tod miefen, bleibt dem Genre also augenscheinlich verpflichtet. Bis das erste Treffen mit den Außerirdischen das Konzept von Zeit (und somit auch das Konzept des Genres) auseinander nimmt.
In jeder Prämisse zeigt Arrival eine anmutige Präzision, erzählt von der Stärke der Worte, fordert ein Zusammensein in (vermeintlicher) Not, errichtet neue Denkweisen, die das Leben verbessern, oder noch genauer: erweitern. In jeder dieser Richtungen – der Konflikt mit China, das anfängliche Bündnis wissenschaftlicher Teams, das Verständnis von Sprache – erreicht den Zuschauer irgendwann eine Ahnung von ganz außergewöhnlichen Prozessen, die der Film umwirft und dann ausbaut und schließlich so beendet, wie es keiner für möglich hielt; denn in der Ankunft des Außergewöhnlichen, mehr noch: des Außerirdischen verbirgt sich kein Krieg, kein Schuss, kein Tod, sondern – Liebe, so rein, so pur, dass selbst die Zeit ihr nichts anhaben kann.
In der endlichen Abfolge eines Lebens ist die Zukunft stets nur eine Vorstellung von einer hoffentlich besseren Gegenwart. Keiner weiß, wie sie aussieht, doch hält sie jeder für selbstverständlich. Auf den einen Tag folgt ein anderer, ein neuer, und es ist die immer andere, neue Chance auf eine Zukunft. Ein unendliches Aufwachen in eine neue Welt; unendlich deshalb, weil die Vorstellung von Tod immer abstrakt, oft ideologisch, aber nie echt ist. Es geht immer vorwärts, vielleicht nicht im Erreichen von Zielen, aber im Fortschreiten der Zeit und somit der Zukunft und es kommt einem so vor, als endete es nie. Obwohl wir es besser wissen. Obwohl wir vom Konzept Zeit wissen.
Denn die Zukunft endet erst, wenn wir altern oder erkranken oder beides. Dann bleibt alles stehen. Die Zukunft ändert sich. Sie verschwindet. Nach und nach, bis in der Gegenwart nur die Gewissheit bleibt, dass Zeit und somit die Zukunft niemals nur einer einzigen Definition entsprechen kann.
Arrival erzählt viel darüber, über das (zu enge) Verständnis von Konvention gewordenen Überlegungen. Natürlich altern wir, natürlich wissen wir vom Tod und einer eben nicht unendlich währenden Abfolge von Tagen – aber das kann dem Leben nicht gerecht werden, und das weiß jeder, der in einem Moment von bislang nicht gefühlter Lebendigkeit existiert und etwas fühlt, was sich kaum beschreiben lässt, wenn aber doch, dann nur mit: Unendlichkeit.
Die Hauptfigur von Arrival ist sich nicht mehr sicher, ob sie noch an Anfänge oder Enden glaubt, ob mit diesen Definitionen überhaupt noch etwas beschrieben werden kann, insbesondere Gefühle und Entscheidungen, die damit zusammenhängen. Dennoch verliert sie nicht den Glauben an das Leben, obwohl sie sieht, wie Leben beendet wird; sie hält daran fest, weil jeder es wert ist, geliebt zu werden und weil zwischen einem vermeintlichen Anfang und einem vermeintlichen Ende trotzdem das Gefühl entspringen kann, dass das Schöne niemals aufhört.
Wenn ich an damals denke, an die Zeit, in der ich Filme als Abenteuer verstand, als stets neue Erfahrung, habe ich nicht viel über Intentionen der Macher nachgedacht. Es war ein Rausch, jeder neue Film verbarg unverständliche Botschaften oder Metaphern und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte, aber je mehr ich schaute, desto mehr wusste ich, generell über Filme und das, was damit zu tun hat. Ob ich nun Cronenberg, Graf oder Fellini sah, es erweiterte meinen Horizont auf erdenklich unterschiedliche Art und Weise.
Irgendwann waren es 15 Filme pro Woche, und ich vergaß am Sonntag, welchen Film ich Montag gesehen habe. So kam Arrival vielleicht zum richtigen Zeitpunkt, nämlich zu einem, an dem mein Innehalten bewirkt, dass ich in der Zukunft wieder aufmerksamer, gespannter erlebe – und nicht nur schaue. Dass ich wieder in Gedanken versinken kann über einen Film, den ich nicht verstehe oder über den ich fluche, obwohl alle anderen jubeln; dass ich weinen kann auch in freudigen Filmmomenten oder schimpfen, wenn jede Idee nur so hell flammt wie das Mündungsfeuer einer Spielzeugpistole.
Und natürlich, vielleicht das Wichtigste: Dass ich niemals aufhöre zu lernen, zu beobachten, zu erkennen. Es muss nicht immer der große Erkenntnisgewinn sein, denn ein Film kann nicht jede (intime) Erfahrung erfahrbar machen, aber er kann zumindest ein Teil sein von einem Mechanismus, der von nun an anders, im idealen Fall besser funktioniert.
So denke ich jetzt über das, was war, was ist und was noch kommen wird; was mir Filme bislang gezeigt haben und was sie mir noch zeigen können, wenn ich es denn nur will. Das kann viel sein oder nur wenig. Aber der Gedanke daran, dass ich nicht definieren kann, wie viele Erfahrungen das noch sein mögen, ist ein wunderschönes Gefühl. Ein Gefühl, zumindest jetzt noch, das kein Ende kennt.
Und wenn dieser Film endet, beginnt eine noch viel aufregendere Geschichte, eine, die alles übersteigt, was ich zu wissen glaubten, eine, von der ich das Ende bereits kenne und ich doch weiß, dass sie alles wert ist, was darin auch passieren mag. So zeigt Arrival etwas, das wir eigentlich wissen und manchmal vergessen, es nun aber etwas anderes, größeres bedeutet:
Liebe kennt keine Grenzen. Sie ist unendlich.