Film

The Lobster: Hummer, männlich, 43, sucht Ziege für gemeinsames Leben

Natürlich würde ich euch nicht töten, wenn ich ein Wolf wäre. Ein bisschen Angst jage ich euch ein, jaule vor eurer Tür, meinetwegen fresse ich auch mal eure Katze oder – wenn er klein ist – euren Hund. Aber sonst bin ich zahm, vermutlich ein bisschen zu verschmust, wenn ich auf mir bekannte Menschen treffe. Aber ich bin ein Wolf, ein hungriger, böser Wolf, aurrgrgagg, so klingt das dann, wenn ich hungrig bin und böse, weil ich dem Klischee entsprechen muss. Jedenfalls: Die dystopische Zukunft in The Lobster sieht vor, dass dich andere, vergebene Menschen in ein Tier deiner Wahl verwandeln, solltest du innerhalb von 45 Tagen keinen Partner oder keine Partnerin gefunden haben. Deswegen: Wolf. Immer. Ich möchte auf diesem Wege den Typen grüßen, der mich damals in der Schule mehrfach verprügelt hat. Wir sehen uns bald wieder.

Colin Farrell hingegen möchte sein Leben als Hummer bestreiten, wenn er im „das Hotel“ genannte Gefängnis keine neue Frau abbekommt. Warum? Uralt werden die und bumsen viel, wirklich sehr viel. Während er der Hotelleitung in kühlen Worten genau das erklärt, sitzt neben ihm sein Bruder. Ein schöner, aktiver Junge, zauberhaftes Fell, will man immerzu streicheln! Ja, sein Bruder ist ein Hund. Wie so viele, die sich verwandeln lassen. Dumm! Kaum wirft jemand einen Ball, bist du abgelenkt.

Der griechische Regisseur Giorgos Lathimos, mit seinem recht bizarren Dogtooth bereits einmal für den Oscar nominiert, entlarvt in The Lobster eine wahnhafte Gesellschaft, die Dating mit Konsum verwechselt. Reihum wird probiert und geschaut, wird abgelehnt und herangelassen, aber dann auch nur, wenn es eine Gemeinsamkeit gibt, mindestens, besser wären mehr, ganz viele, die gleichen Tennissocken im Regal etwa oder Kurzsichtigkeit oder vielleicht auch ein kaputtes Bein – was man halt so mitbringt in den Alltag einer Beziehung. Allesamt, ob Frauen oder Männer, ob homo- oder heterosexuell, suchen im Gegenüber das Verbindliche, der gemeinsame Nenner, der die Beziehung erst so richtig schließt, eher noch als es ein Ring macht.

Und so gehen sie auch miteinander um: Blutflecken auf Hemden oder verschiedene Schwimmtechniken erzählt man mit starrem Sprech und leerem Blick. So normal klingende, aber durch Schauspieler wie Ben Whishaw, Jessica Barden oder auch John C. Reilly abnormal vorgetragene Konversationen füllen die Lücke bis zur ultimativ gewordenen Zweisamkeit: Erst wenn wir den besagten Nenner finden, können wir lieben, ja; davor ist alles egal.

Hier liebt natürlich niemand. Das Hotelpersonal zwingt die Insassen in moralische Fesseln, denn wer einen Partner oder eine Partnerin hat, wird schließlich nicht vergewaltigt, so der Tenor. Frauen und Männer applaudieren, Schnitt: Mit Betäubungspistolen rennen sie durch den Wald, um die „Loner“ zu fangen; diejenigen, die aus dem Hotel in die Wildnis geflohen sind und in ihrer eigenen Version von Liebe leben. Wer einen der Verdammten erschießt, darf einen Tag länger sein Dasein fristen im Hotel.

Du wirst für dein Anderssein verurteilt. Nicht immer, aber immer öfter.

Mal mit dem Hammer, mal ganz subtil eröffnet Lathimos mit dieser Gegengesellschaft die Zwänge heutiger Beziehungen. Dort ist jede Art von Zuneigung verboten, so strikt, dass man dir gerne die Lippen aufschneidet, wenn du wen küsst. In dem Gedanken Halt finden, abseits der Tierwandlungen erst Recht die Bumsebiene rauszulassen, darauf kommt niemand. Schließlich finden sie in ihrem wilden Leben die Akzeptanz für das Ausgestoßene. Heutige Normen der Gesellschaft jagen dich geradewegs ins Nirgendwo, wenn du dich nicht anpasst, mitgehst, am besten noch vorne an läufst, du wirst zunächst vielleicht nur schief angeguckt, dann aber verurteilt, verachtet, im Stillen oft, aber eben auch in direkter Konfrontation. Die „Loner“ also, sie leben die Metapher der Verlierer.

Léa Seydoux als Anführerin der Loner ist neben dem durchaus galligen Humor der größte Triumph von The Lobster. Der Liebe fremd, diktiert sie ihren einsamen Gestalten ein hoffnungsloses Leben. Mit fast schon unheimlicher Mimik und einem grazilen Selbstbewusstsein reißt Seydoux den Film ab der zweiten Hälfte an sich. Zwar harmonieren auch Colin Farrell und Rachel Weisz auf ganz seltsame Weise, aber die junge Französin ist es, die in ihrem Spiel das Absurde, das Tragikomische sensationell vereint.

Mit allerhand Zeitlupen und überzogener Musik liefert Lanthimos sein nächstes Glanzstück, wenngleich auch diesmal der Zugang nicht leicht fällt. Eine monotone Sprache, dafür eine umso lebendigere Bildsprache erzählen von einer entfremdeten Kultur, in der das Gemeinsame das Perfekte auslöst. Dass ausgerechnet die teils derben Witze einer Gesellschaft den Spiegel vorhalten, ist umso schöner.

Aber vermutlich wird dieser Film ohnehin nicht die Richtigen erreichen – zu sehr sind sie damit beschäftigt, auf Tinder nach links zu wischen.

The Lobster, Griechenland/England/Frankreich 2015 // Regie: Giorgos Lanthimos // Drehbuch: Giorgos Lanthimos und Efthymis // Darsteller: Colin Farrell, Rachel Weisz, Jessica Barden, John C. Reilly, Ben Whishaw, Léa Seydoux, Ashley Jensen, Olivia Colman // Kamera: Thimios Bakatakis // Musik: Johnnie Burn // Laufzeit: 109 Minuten // FSK 16

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