Wehe! Wenn ihr das nicht mitbekommen habt! Ihr glaubt, eine totale Sonnenfinsternis rummst als Weltereignis in die Geschichtsbücher? Dann wart ihr noch nicht auf GameStar.de. Am 16.07.2018 titelte die Redaktion:
„Exklusiv“ also? Das ist toll. Berichterstattung, die sonst niemand hat, und genau das ist doch die Aufgabe von Journalisten: Aufzeigen, was noch niemand weiß.
Jetzt also „exklusive“ Infos zu Anno 1800. Als ich den – nur im Plus-Abo verfügbaren – Artikel las, habe ich nichts verstanden, weil, naja, ich nichts über Anno weiß. Ich weiß nun aber ganz sicher eines: Der Text der GameStar ist einzigartig.
Wow. Ich meine, wow! Jetzt kommen wir der Sache näher. Direkt darunter der Hinweis auf das dazugehörige Video:
In einem weiteren Plus-Text namens, Moment, macht euch einen Tee, das dauert jetzt eine Weile: „Anno 1800 – Wie die Industrialisierung dem Gameplay Dampf macht – Große Szenario-Analyse“, auch dort wird selbstverständlich auf die Geilheit Exklusivität hingewiesen:
Was fehlt? Der Hinweis auf das Video:
Damit es niemand übersieht, weder der Maulwurf mit Rot-Grün-Schwäche noch der Augenklappen-Zyklop, tröpfelt die Redaktion einen weiteren, ich möchte fast sagen: zarten Hinweis in den Text.
Wenn man so viel Exklusives spielen kann, muss die Berichterstattung über ein oder zwei Artikel hinaus gehen; deswegen ist der dritte Artikel „Anno 1800 – Umstellen beim Aufbauen: Über diese Dinge sind wir beim Anspielen gestolpert“ ebenfalls gepflastert mit Hinweisen.
Dazu kommt diese formschöne Verlinkung:
In der Beschreibung des Videos „Anno 1800 – Exklusiv gespielt: Zurück aus der Zukunft“ heißt es ebenfalls:
Eh klar: Die Video-Headline ist feucht vor Exklusivität.
In einem zweiten Video – Titel: „Anno 1800 – Analyse-Video: Das Interface im Detail“ – schreibt die Redaktion folgendes in die Beschreibung:
Kaum vorzustellen, wie dann wohl die aktuelle Print-Ausgabe der GameStar aussieht. Wie immer: überladen wie die Kennziffern von Sex-Kleinanzeigen, im Verhältnis zur Website aber fast schon defensiv:
Übrigens hat die GameStar die Auslieferung der Abo-Ausgabe des aktuellen Heftes verschoben – wegen der Berichterstattung zu Anno 1800. In einer News schreiben sie:
„Die Abo-Auslieferung der GameStar 08/18 erfolgt erst ab Montag. Grund dafür ist ein die Titelstory betreffendes NDA (non disclosure agreement). Entsprechend wird auch die digitale Ausgabe erst ab Montag online verfügbar sein.“ – Gamestar.de
In einem NDA werden unter anderem auch Embargos, also Speerfristen geregelt, in diesem Fall fiel diese Frist vermutlich am Montag, den 16. Juli 2017 um 10 Uhr. Die Abo-Ausgabe der Print-GameStar wäre allerdings bei einer normalen Auslieferung unter Umständen schon am Wochenende, also am Samstag, den 14. Juli eingetroffen.
Wer immer wissen wollte, wie problematisch die Beziehung zwischen Spielepresse und Hersteller sein kann, sieht hier zu, wie sich ein Magazin entblößt. Und natürlich ist jedes „nur“ unangebracht; ob es „nur“ die Abo-Ausgabe betrifft, entkräftet keineswegs die absurde Einflussnahme auf ein vermeintlich seriöses Magazin. Dass es überhaupt dazu kommt, dass die Redaktion tatsächlich nachgibt, das Heft – zugegeben: minimal – zu verschieben, ist einigermaßen verstörend.
Zumal das große Bewerben noch nicht vorbei ist. Im Artikel „Anno 1800 – Ausbeuter oder Wohltäter? So funktioniert die Bewohner-Zufriedenheit“ heißt es am Ende:
Wer die eigenen Artikel so konsequent mit „(welt)exklusiv“ bewirbt, hat natürlich jede Anerkennung verdient und … oh. Moment. Was ist das denn? Ist das die Süddeutsche Zeitung?
Was bringt denn all die verflixte Weltexklusivität, wenn die Süddeutsche Zeitung ebenfalls darüber berichtet? Wobei, warte mal! Der Text wurde bestimmt erst nach den GameStar-Artikeln veröffentlicht. Oder? ODER?!
Ja. Sieben Minuten.
Wer die GameStar-Artikel gelesen hat, bleibt nach dem Text der Süddeutschen Zeitung vermutlich ohne Erkenntnisgewinn – verschiedene Zielgruppen, klar. Auch die Behauptung stimmt, die GameStar habe es als „weltweit erstes Spielemagazin“ gespielt, da die Süddeutsche Zeitung eben nicht der Fachpresse angehört.
Dennoch flunkert eine Redaktion ihre Leser an. Nur ein bisschen. Aber „nur“ oder „bisschen“ sind im Journalismus schon drei Schritte über der roten Linie; man ist da bereits an der Unglaubwürdigkeit vorbei gesaust und am Marketing angekommen, wenn man von „weltexklusiv“ spricht, obwohl diese lediglich ein bisschen gegeben ist, und nur die Auslieferung der Abo-Ausgabe verschiebt, weil der Hersteller es so will.
Es bleibt eine Frage, und auf diese Frage kennt jeder die Antwort: In welchem Text kommt das Wort „exklusiv“ nicht vor? Richtig. Denn die Süddeutsche Zeitung nutzt ihre Zeit für Journalismus.
Und nicht für Werbung.