Medienkritik

THQ Nordic und die Spielepresse: Ein Armutszeugnis in drei Akten

Ein Publisher von Videospielen will Fragen einer Community hören, die bekannt ist für Kinderpornographie. Wie reagiert der Spielejournalismus? Gar nicht.

Akt 1: Die Torheit (von THQ Nordic)

Der österreichische Videospiel-Publisher namens THQ Nordic hat ein AMA (= ask me everything) abgehalten, eine Fragerunde, bei der eine Community auf einer ausgesuchten Plattform Fragen und Wünsche äußern kann. THQ Nordic entschied sich für 8chan. Dieses sogenannte Imageboard ist nicht irgendein Forum, nicht irgendein belebter Ort am Puls der Zeit von Spielenden. Es ist komplizierter.

Zeitweise listete Google die Seite auf einer schwarzen Liste und machte es somit unmöglich, dass 8chan über die Google-Suche gefunden werden kann. Der Grund: Kinderpornografie, die über die Plattform verbreitet wurde. Ebenso haust dort die Menschenverachtung gewordene Medienkritik-Bewegung Gamergate, die von Beginn an eigentlich nichts mit Medienkritik, dafür viel mit Menschenverachtung, Todesdrohungen und Beleidigungen zu tun hatte. Auch für Nazis wird dort unter dem Deckmantel der „Meinungsfreiheit“ ein Abenteuerspielplatz geboten.

Das zeigte sich auch bei der Fragerunde: Innerhalb weniger Minuten fluteten antisemitische Beleidigungen, sexistische Beleidigungen, homophobe Beleidigungen, einfacher ausgedrückt: menschenfeindliche Beleidigungen das AMA, dazwischen immer wieder Bilder gezeichneter, offensichtlich minderjähriger Mädchen und Verweise auf Hitler und Gamergate.

Ein 8chan-Nutzer postete ein Bild von einem Tempel-Ritter, der sinngemäß gegen queere Menschen kämpft, woraufhin THQ antwortete: „That could be from one of our upcoming games“. Zuletzt kündigte der Christchurch-Attentäter seine Tat bei 8chan an.

Nach dem erwarteten Shitstorm ruderte THQ Nordic halbherzig zurück, der verantwortliche PR-Manager entschuldigte sich mit seinem Unwissen darüber, wie abscheulich es auf 8chan zugeht. Dem gegenübersteht ein Tweet, den der offizielle Twitter-Kanal von THQ Nordic verbreitete: Ein Kollege namens „Mike“ wurde abgestellt, damit er sich um den „nasty stuff“ kümmern kann. Die offiziell verbreitete Entschuldigung enthielt also mindestens eine klar auszumachende Lüge.

Akt 2: Die Hoffnung (auf Berichterstattung)

Die englischsprachige Fachpresse reagierte umgehend: Meinungstexte und Analysen erschienen unter anderem bei Waypoint und GameInformer. Die Washington Post verfasste ebenfalls eine Meldung.

Auch die deutschsprachige Spielepresse thematisierte den Vorgang in mal kleinen, mal großen News. Unter anderem berichteten PC Games, 4Players, GamesweltSpieletipps und GameStar. GamersGlobal erwähnte das Thema lediglich in den Wochenend-Lesetipps und verlinkte auf die News der GameStar. GIGA Games benannte das Thema im sogenannten „Kaffeesatz“-Format, in dem die Redaktion, ich zitiere: „WTF-Themen“ veröffentlicht, „die zu WTF“ für die reguläre News-Abteilung sind.

Das ist wohl ein, äh, Anfang. Besteht also Hoffnung auf eine breit angelegte Debatte um PR-Fehltritte und fragwürdiges Marketing?

Kurzum: Nein.

Akt 3: Die Peinlichkeit (einer Branche)

Bei GameStar, GamePro, PC Games, Eurogamer, Playnation, Gamersglobal, 4Players, GIGA Games und Gameswelt ist kein einziger weiterführender Text erschienen. Lediglich Spieletipps verarbeitet den Vorfall in einem Absatz in dem Text namens „Videospielindustrie: Wieso diese Angst vor Haltung“. Kein anderer Journalist hielt es für nötig, die Ausgangslage eines Publishers zu kommentieren, der willentlich und mit Anlauf log und rechte Theorien von Rechten sinngemäß mit „du hast Recht“ beantwortet, etwa dann, wenn ein 8chan-Nutzer darum bittet, die Spiele nicht zu „zensieren“ oder auf die Bedürfnisse sogenannter Social-Justice-Warrior anzupassen (populärer Jargon der Neuen Rechten, Gamergate und anderen Idioten), woraufhin THQ Nordic antwortete: „we’ll try that way“.

Einmal mehr wird deutlich, was sich schon seit Jahren beobachten lässt: Die Spielepresse fürchtet ihre Leser. Sie fürchtet sich vor einer Auseinandersetzung mit dem in der eigenen Leserschaft weit verbreiteten Fehlverhalten, das nahezu täglich auf den jeweiligen Online-Ausgaben zu lesen ist.

Wenn etwa die GameStar über die Rundfunkgebühren berichtet, berichtet sie nur aus einem Grund: die zur Kontroverse neigende Nachricht über vermeintlich bald steigende Gebühren sorgt für bis zu 800 Kommentare. Aus dem vorgegaukelten Interesse an einer Debatte wird schnell ein Tummelplatz für Hetze, Lügen und Halbwahrheiten. In einer News vom 26. März sieht das so aus:

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Ein anderes Beispiel: In einem Youtube-Video spricht die GameStar-Redaktion über die Darstellung des Holocausts in Call of Duty WW2. Eine Moderation der Kommentare findet offenbar nicht statt.

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Zusätzlich ist ein strafrechtlich relevanter Kommentar auf GameStar zu finden, der einem Politiker mit dem Tod droht:

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Islamfeindliche Hetze wird ebenfalls nicht gelöscht, auch das Beleidigen eines Bloggers als Faschist bleibt online:

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(Wohlgemerkt: Das war eine lediglich eine Auswahl.)

Wenn die eigene Community mit Worten wie „Diktatur“, „Schuldkult“, „Regime“, „Propaganda“ und „korruptes Pack“ hantiert, ohne Angst vor Restriktionen zu haben, dann überrascht es wenig, wenn die GameStar nicht umfassend über einen Publisher berichtet, der jenes Milieu in einem noch radikaleren Umfeld zu beglücken versucht. Menschenverachtung kann nur schwerlich aufgezeigt und kritisiert werden, wenn sie regelmäßig auf den Plattformen der Spielemagazine stattfinden darf und somit einen nicht zu leugnenden Teil der Leser-Meinungen abbildet.

Man hat sich erfolgreich eine Zielgruppe herangezüchtet, die von Kinderpornographie solange nichts wissen will, bis zufällig ein vermeintlich propagandistisches Zensurregime mit drei Buchstaben damit in Berührung kommt. Alles andere ist wohl diese fiese politische Korrektheit, um im Tenor nicht weniger GameStar-Leser zu bleiben, die über den Autor eines Blogeintrags über die vielleicht nicht ganz stringente Darstellung des Mittelalters in Videospielen folgendes zu sagen haben: „Das sind Methoden der Nazis“ und „Das sind Faschisten“.

Ursächlich ist ein irgendwie gearteter Journalismus dafür natürlich nicht, aber er fördert dieses Umfeld, er heißt es willkommen, tätschelt und streichelt es. Allein das Nichtlöschen der hier aufgezeigten Beispiele und hunderter anderer Kommentare in den vergangenen Jahren auf etlichen Plattformen verschiebt die meist systematischen Ursachen von Toxizität hin zu einem Kreislauf bestehend aus einer oftmals schweigenden Spielepresse und der gleichzeitigen Damitabfindung von Hatespeech in der eigenen Community. Eine um PR und Marketing bemühte Firma wie THQ Nordic bemerkt das, und dann arbeitet ausgerechnet jener Mitarbeiter dort, der Kinderpornographie und Nazis als „nasty stuff“ betitelt, aber trotzdem loslegt – und damit davonkommt. Wer einmal länger als zehn Minuten in Gaming-Communitys oder Kommentarbereichen des vermeintlich so seriösen Spielejournalismus verbracht hat, den überrascht das nicht.

Wir reden hier von einem Journalismus, in dem Chefredakteure nicht über die zweifelhafte Qualität kommender Videospiele berichten, sondern den Entwicklern eine To-Do-Liste zur Verbesserung des Spiels mitgeben; wir reden von einem Journalismus, in dem Chefredakteure die Verharmlosung des Holocausts in Leser-Kommentaren lediglich „unglücklich“, nicht aber entfernenswert finden; wir reden von einem Journalismus, der bei dem Thema Gamergate auf „beiden Seiten“ Fehler entdeckt; wir reden von einem Journalismus, der Ideologiekritik als schlechte Kritik abtut; wir reden von einem Journalismus, der sich „Gamona.de“ nennt und Leser-Kommentare über Vergewaltigungen und sexuelle Belästigung seit teilweise fünf Jahren nicht löscht; wir reden von einem Journalismus, der alles oberhalb von Gameplay-Bewertungen und Schattenqualitätsanalyse meiden will.

Und dann gibt es noch jenen Journalismus, der sich nicht Journalismus, sondern Unterhaltung nennen will, also eine Ausrede nutzt, mit der man Clickbait-Überschriften genau so sehr rechtfertigen kann wie mangelnde, schlechte oder eben gar keine Berichterstattung. Während sich GameStar noch einem „sachlichen, fairen und differenzierten“ Journalismus verpflichtet fühlt, wie die Redaktion selbst sagt, will das Schwestermagazin GamePro davon nichts hören. Es hat über THQ Nordic am wenigsten berichtet, und im Fall dieser erstaunlich wortkargen Spielepresse bedeutet das: GamePro hat kein einziges Wort darüber verloren.

Ein Monat ist seit dem Vorfall vergangen, ein Monat, in dem man Statements erfragen, abwarten, erfragen, abwarten, erneut erfragen und letztlich doch darüber berichten kann, so wie es GameStar tat, nachdem THQ Nordic nicht auf Anfragen reagierte. Stattdessen schreibt die GamePro über Nachnamen von Videospielfiguren, Hollywood-Stars und zwei nicht mehr so starke Waffen.

Für die Bewertung dieser Sachlage darf man nicht vergessen, dass GamePro zuletzt eine deutschlandweit exklusive Berichterstattung über Darksiders 3 veröffentlichte. Die Funktion als Publisher übernahm THQ Nordic – und somit auch die Verhandlungen über Exklusivität; obgleich Magazine gerne die Trennung von Anzeigenabteilung und Redaktion betonen, ist es doch die Chefredaktion, die zusammen mit dem Publisher über derart exklusive Texte verhandelt. Es ist also ausgerechnet das Magazin GamePro, das nicht über die Fehler von THQ Nordic, wohl aber exklusiv über die geilen Games berichtet.

Was bleibt, ist buchstäbliche Leere. Ein Publisher buhlt um die Aufmerksamkeit einer Seite, die für Kinderpornografie bekannt ist, klatscht Beifall und johlt Zustimmung für homophobe Beleidigungen und lügt in der nachträglichen Entschuldigungen den Kritikern ins Gesicht – und kein Magazin findet dafür klare, aufdröselnde, analysierende oder anprangernde Worte.

Das ist – nicht mehr und nicht weniger – ein Armutszeugnis.

(Das Titelbild stammt aus dem Trailer „Darksiders III – Fury’s Apocalypse Trailer“.)

4 Kommentare

    1. Ich weiß. Genau das habe ich ja auch geschrieben und den von dir verlinkten Artikel ebenfalls verlinkt. Nur geht es mir darum, dass keine weitere Berichterstattung stattfand.

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  1. Sorry aber das ist Kokolores Jannick. Du weißt selber dass eine Moderation solcher Kommentare ohne Algorithmus oder furchtbar viel Manpower schlicht unmöglich ist. Klar bei deinem kleinen Seitchen hier ist das einfach…

    Die GS hat das eigentlich ganz gut gemacht.

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    1. Dann sind wir wohl unterschiedlicher Meinung. Natürlich weiß ich, wie brutal die Moderation von Kommentaren ist. Doch sobald man sich entschließt, eine Kommentarspalte für Leserinnen und Leser zu ermöglichen, muss entsprechend moderiert werden. Mittlerweile hat die GameStar in der Hinsicht eine Menge getan, das Verlegen der Comments ins Forum zum Beispiel. Doch immer wieder gab und gibt es widerwärtige Kommentare, die entweder gar nicht oder sehr spät gelöscht oder kommentiert werden. Sicherlich können einige der oben aufgezeigten Kommentare so stehenbleiben, weil sie von anderen Leserinnen und Lesern widerlegt werden, aber sobald Todesdrohungen und „Blogger sind Nazis“-Vorwürfe online bleiben dürfen, gibt es ein nicht zu leugnendes Problem.

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