Ein vermeintlicher Leak ging vor wenigen Tagen durch die Medien: Ein Remake zu Red Dead Redemption 1 soll in Arbeit sein, mit angepasster Geschichte und neuen Funktionen, und auch ein Alien-DLC für Teil 2 wurde erwähnt.
Zahlreiche deutschsprachige Magazine berichteten darüber, unter anderem GamePro, PC Games, Spieletipps, Playfront, Gameswelt, Playm, PC Games Hardware, Play3, GIGA Games und Playnation. Es würde schneller gehen, jene Redaktionen aufzuzählen, die NICHT darüber berichtet haben.
Ein paar Schlagzeilen dieser News:
(Gameswelt)
(PC Games Hardware)
(PlayM)
Es gibt nur ein Problem: alles frei erfunden. Kompletter Fake. Von vorn bis hinten, und zwar mit Anlauf.
Ja, Leaks sind selten verifizierbar. Darum geht es: Anonyme Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Studios gehen mit ihren Informationen an die Öffentlichkeit. Mal sind es Magazine, mal sind es lediglich Einträge auf Seiten wie Reddit oder 4chan. Viele dieser Leaks treffen zu, wie sich später herausstellt. Wirklich sicher kann man sich darüber aber nie sein.
Der Unterschied zum aktuellen Fall? Der ist gewaltig. Schließlich entschied sich der vermeintliche Leaker ganz bewusst dazu, eine Lüge zu verbreiten. Er hat alles geplant. Warum? Deshalb:
„This was an experiment I have always wanted to do regarding the spreading of rumors in video game culture.“
Er oder sie hatte also nur ein Ziel: Herausfinden, wie eine riesige Industrie, bestehend aus Presse, Communitys und Social-Media-Hubs, auf ein derartiges Gerücht reagiert. Der Reddit-User namens „throwaway11113454“ klärte einige Tage nach seinem Leak den Sachverhalt auf. Die Ausgangslage war nicht besonders komplex:
„I’ve been thinking about this for a while and wondering how I was going to do it, then I saw red dead online was basically being ignored (most likely not, but the fans are in the dust about it, including me) so this was basically a good starting point for me.“
Und weiter:
„So first I thought about here there were a lot of alien references in RDR 2’s story mode, so I started my “leak” on that. I made up a somewhat believable story that my “friend from rockstar” told me. (Real original right?) then I put in small details I thought in my head would make sense such as “Still playing as Arthur”. But I stayed real vague just to build up some speculation. Then I thought of what I wanted out of a story dlc.“
So einfach ist das: Ein Unbekannter mit angeblichem Rockstar-Freund denkt sich innerhalb kurzer Zeit neue Inhalte aus – und wird für voll genommen. Zum Remake äußert sich der User wie folgt:
„I wanted a remake of the first game with all of the bells and whistles of the recent game. And the rest is pretty much history, so I expected it to be ignored and the next day I open my reddit and I see the biggest notification list I have ever had!“
Irre. Alles. Es braucht wenig bis gar nichts, damit Redaktionen berichten. Sicherlich weisen viele Magazine daraufhin, ob und wie vertrauenswürdig ein Leak ist. Im aktuellen Fall geschah dies eher, nun: zögernd.
GamePro etwa schreibt:
Man könne zwar „leicht behaupten“, dass jemand jemanden kenne, allerdings gebe es diese Gerüchte ja schon länger – und zack, gibt es eine Meldung dazu, die eben NICHT eindeutig darauf hinweist, dass die Meldung null bis gar nicht vertrauenswürdig ist. Viele Leaks, die sich zwar weiterhin nicht final verifizieren lassen, aber dennoch berichtenswert sind, stammen oft von Menschen, die bereits zuvor Leaks veröffentlichten, die sich als wahr herausstellten. Im aktuellen Fall hat der betreffende Reddit-Nutzer keinen „sicheren“ Hintergrund, er oder sie gibt lediglich an, jemanden von Rockstar zu kennen. Hat das eine Journalistin oder ein Journalist überprüft? Nein.
Bemerkenswert ist zudem die News von PC Games, die frei von Zweifeln an die Sache herangeht:
PC Games schreibt nicht: Das Remake SOLL eine neue Fassung des Spiels werden, nein, PC Games schreibt: Das Remake WIRD eine neue Fassung des Spiels, ein bekannter Synchronsprecher WIRD neue Sprachaufnahmen tätigen, und, ja tatsächlich: im Remake „erkundet ihr eine noch größere Spielwelt“, somit ist alles geritzt, die Ankündigung seitens Rockstar ist nur noch Tage entfernt – zumindest klingt es so.
„Ganz abwegig“ sei dieses Gerücht nicht, wie PC Games schreibt. Niemand in der Redaktion kam auf die Idee, den Fokus darauf zu setzen, dass weder die Details noch der Kontakt zu Rockstar überprüft wurde. Stattdessen heißt es: nicht abwegig.
Ähnlich euphorisch klingt Playnation:
Wie vertrauenswürdig der Leak ist, wird nicht erläutert. Es wird lediglich erwähnt, dass die Infos von einem anonymen Reddit-Nutzer stammen.
Bei GIGA Games ist ebenfalls kein Wort zu finden darüber, wie glaubwürdig der Leak ist. Stattdessen:
Dazu passt der folgende Facebook-Eintrag:
Ausgerechnet Gameswelt, jenes Magazin, das nun wirklich nicht, also überhaupt gar nicht für Qualität bekannt ist, ordnet den Leak sehr viel konsequenter ein als die Konkurrenz.
Interessanter als die eigentliche Berichterstattung über den Leak ist die Art und Weise, wie einige Redaktionen die News entsprechend verbessert haben. Nämlich nur so halb. Bei GamePro steht beispielsweise:
Kleinlauter kann man eine News nicht berichtigen. GamePro erwähnt mit keiner Silbe die Gründe für den Fake. Aus gutem Grund: Das würde eine Auseinandersetzung mit der eigenen Berichterstattung bedeuten. Also verschweigt man, dass der Leak lediglich die Sensationslust der Spielebranche aufzeigen sollte – und das zumindest bei GamePro prima geklappt hat.
Auch das Update von Spieletipps lässt tief blicken:
Weitere Hintergründe lässt das Magazin anscheinend bewusst aus.
Werden die Magazine daraus lernen? Vermutlich nicht. Etliche Leaks haben sich in den vergangenen Jahren als falsch herausgestellt, und doch wird immer weiter darüber berichtet. Warum? Weil das nicht für alle gilt. Viele Leaks kommen von glaubwürdigen Personen, die bereits zuvor korrekte Details weitergegeben haben. Und: Viele Personen, die für solche Leaks verantwortlich sind, verifizieren sich gegenüber Journalistinnen und Journalisten, also beweisen, dass sie – zum Beispiel – einst bei Rockstar arbeiteten. Das macht den Leak nicht automatisch wahr, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit.
Beim aktuellen Beispiel mag es sicherlich Redaktionen gegeben haben, die den Leak für plausibel hielten, da bereits zuvor angebliche Details zum Remake und zum DLC auftauchten. Das mag sein. Doch nur weil vieles auf etwas hinweist, das noch immer nicht offiziell ist, kann und darf nicht jeder darauffolgende Leak genau die gleiche Beachtung bekommen. Ansonsten kann jeder Papagei mit Englisch-Aufbaukurs und Internet-Zugang über dieses oder jenes wie auch immer geartete Mega-Projekt schreiben.
So oder so sollte es klare Richtlinien geben: Ab wann sind Leaks glaubwürdig, ab wann sind sie beachtenswert? Wenn ein anonymer Reddit-User mit neuem Account angebliche Infos über heiß erwartete Spiele verrät, sollte man eventuell zögern. Handelt es sich um einen altbekannten Leaker – dann ist eine News vielleicht angebracht, aber immer mit dem dicken Hinweis, dass alles ganz anders kommen kann.
Freilich bedeuten derlei Richtlinien für die jeweiligen Redaktionen besonders eines: Arbeit. Man muss klären und aufschreiben, was bei solch spekulativer Berichterstattung wichtig ist, man muss einschränken und hinweisen, einordnen und recherchieren.
Eine solche Aufstellung von Regeln kann zudem in einigen Fällen dazu führen, auf Berichterstattung zu verzichten – und somit auch auf Klicks. Deshalb muss die Frage erlaubt sein: Was wiegt mehr – die Glaubwürdigkeit der Redaktion oder die pure Geilheit auf die nächste Top-News?
In vielen Fällen ist die Antwort klar. Leider.