Medienkritik

Bullshit-Previews: Die geile Reise nach Paris

 

Es ist wieder soweit: Die Spielepresse hat sich verhoben. Verschätzt. Quatsch geredet. Oder: den Publishern mehr vertraut als nötig. Das heißt – genau, richtig geraten: mal wieder haben Spielejournalistinnen und -journalisten in Previews von einer Qualität gelabert, die das fertige Spiel nicht einhalten konnte. Aktuelles Beispiel: Ghost Recon Breakpoint.

Das von Ubisoft entwickelte Spiel stand bereits ab der Ankündigung unter keinem guten Stern, denn die ersten Infos über ein als Games-as-a-Service gedachter Taktik-Shooter ohne Taktik führte zu durchaus kritischen Previews, zum Beispiel von GameStar oder 4Players. Die übrigen Magazine hingegen bestätigte den Status als nie gänzlich unbefangene Produkt-Redakteure mit einer Vorliebe für Presse-Events in Paris.

Die erste Vorschau von PC Games beruht auf einem Studio-Besuch in, oh: Paris. In der von Ubisoft sicherlich lobgepriesenen Lob-Preview steht unter anderem folgendes:

„Neben der neuen, riesigen und wieder einmal unglaublich abwechslungsreichen Spielwelt und dem Survival-Aspekt wollen die Entwickler damit punkten, dass wir Breakpoint von Anfang an in allen Spielmodi spielen können.“

„Ich freue micht schon darauf, die abwechslungsreiche Open-World zu erkunden!“

„Wenn es um offene und zugleich abwechslungsreiche Spielwelten geht, habe ich großes Vertrauen in Ubisoft. Hier sehe ich auch das größte Potenzial von Ghost Recon: Breakpoint.“

„So oder so freuen wir uns aber über die Ankündigung von Ghost Recon: Breakpoint. Das Spiel hat wieder mit seiner riesigen und interessanten Open-World einen Trumpf in der Hand und mit Jon Bernthal dazu einen Joker, der die Story alleine durch sein charismatisches Auftreten interessant machen könnte.“

Allein die Beschreibung der Spielwelt verdient sich nach Meinung von PC Games Adjektive wie „riesig“, „interessant“ und „unglaublich abwechslungsreich“, „abwechslungsreich“ und „abwechslungsreich“, und man könnte nun vermuten, es sei unmöglich, auf so viel Lob noch Kritik folgen zu lassen, weil ja schließlich alles klar ist, oder anders: alles „abwechslungsreich“, aber das folgende Zitat stammt dennoch aus dem Testbericht der Redaktion zu Ghost Recon: Breakpoint:

„Vielmehr ist die Kampagne von Ghost Recon: Breakpoint eine große Beschäftigungstherapie, die weder mit bemerkenswerten Missionen noch mit einer lebendigen Spielwelt auftrumpft.“

„Die Handlung verliert sich bereits nach wenigen Stunden in Klischees und kann auch nicht durch eine gewollte, aber nicht gekonnte überraschende Wendung überzeugen.“

Kann das sein? Genau jene Elemente, die die PC Games zuvor noch dreimalig mit „abwechslungsreich“ anführte, sind nun also gar nicht so geil? Komisch.

In einer anderen Vorschau titelt die Redaktion übrigens so:

pcgames-preview

Ein Fazit, das klingt, als würde es am Ende eines Testberichts stehen, nach einer Spielzeit von vielen, vielen Stunden, also nach journalistischer Expertise, doch „nur wenige Schwächen“ schrieb PC Games auf Basis „einiger Stunden“, wie es heißt.

Ja, die Redaktion betont: So richtig könne man das alles noch nicht bewerten, das hält sie aber nicht davon ab, all das im Detail zu bewerten. Nämlich so:

„Breakpoint hat es geschafft, die Stärken von Wildlands, beispielsweise eine große und abwechslungsreiche Spielwelt, ein gutes Waffenhandling, Aiming und Trefferfeedback, oder auch einen exzellenten Koop-Modus, in Breakpoint zu übertragen und stellenweise sogar noch zu verbessern.“

Abgesehen von dem Detail, dass das letztlich großer Quatsch ist, der nur durch die unglaubliche Naivität jener Redaktionen zustande kommen, die Präsentationen von Publishern mehr Glauben und Aufmerksamkeit schenken als, Vorsicht, verrückte Idee: journalistischen Richtlinien, also abgesehen von schlechtem Journalismus befremdet es zunehmend, dass tatsächlich Journalistinnen und Journalisten eine geschönte, vorab ausgesuchte Version eines Spiels tatsächlich als Grundlage für derlei Berichterstattungen verwenden.

Weiter heißt es:

„Ghost Recon Breakpoint ist eine konsequente Weiterentwicklung von Wildlands, die sich auf die Stärken des Open-World-Shooters konzentriert und diese weiter ausarbeitet.“

Nein, Breakpoint ist in Wahrheit eine drastische Verschlechterung von allem, was Wildlands ausgezeichnet hat. Und das schreibt PC Games auch so ähnlich im Testbericht. Wie kommen solche Urteile dann in Previews zustande, wenn einige Monate später das exakte Gegenteil geschrieben wird?

Die Verzahnung von Presse und PR ist bereits seit Jahren so verkommen, dass Journalistinnen und Journalisten die Problematik um geschönte Event-Demos nicht mehr bemerken; zwei Stunden Spielzeit in einem 50-stündigen Spiel für eine fundierte Berichterstattung zu nutzen, steht für die Spielepresse in keinem Widerspruch zueinander. Im Gegenteil: Bereits 15-minütige Präsentationen entlocken blumigstes Lob. Dass solche Präsentationen und Demos oft nicht den Zustand des Spiels wiedergeben und derart wertende Berichte gar nicht zulassen, wird dabei vergessen.

Man muss fast froh sein, dass ein Fachmagazin wie PC Games dann doch noch in der letzten Vorschau vor der Veröffentlichung von Breakpoint so etwas wie Skepsis äußert. Man könnte dennoch daraus lernen. Konsequenzen ankündigen. Sich langsam von wertender Vorab-Berichterstattung lösen, weil man mal wieder auf die Versprechen eines Publishers hereingefallen ist. Man könnte auch sagen: die Lügen und Täuschungen jener Menschen geglaubt hat, die für maximale Verkäufe lügen und täuschen.

Apropos: GIGA Games. Die flogen ebenfalls nach Paris. Und schrieben wie folgt über Breakpoint:

„Alles in allem bin ich sehr zufrieden mit dem was Ubisoft bis hierhin in Ghost Recon: Breakpoint abliefert. Die Geschichte ist fokussierter, die Spielwelt facettenreich und das Open-World-Chaos der Vorgänger bleibt bestehen. Hinzu kommen jede Menge Gameplay-Erweiterungen und PvP-Optionen, die das Gesamtpaket abrunden.“

Hm. Ja, genau. Im Testbericht klingt das ein bisschen anders:

„Ein Flickenteppich aus vermeintlich trendigen Features, die alle bereits in anderen Spielen besser umgesetzt wurden.“

„Wer einen Blick auf die Weltkarte wirft, findet zwar eine prall gefüllte Map vor, allerdings verbirgt sich hinter den aller wenigsten Symbolen wirklich ein spielerischer Mehrwert.“

Also doch irgendwie das Gegenteil vom Geschriebenen aus der Preview.

Aus einer ohnehin absurden Reihe tanzt besonders ein Magazin: GamePro. Nein, GamePro verzichtet nicht auf eine Vorab-Berichterstattung. Sie verzichten darauf, das Spiel überhaupt erst anzuspielen. So heißt es in einem Text über Breakpoint:

„Und auch wenn ich den Titel noch nicht selbst anspielen konnte, bin ich guter Dinge, dass Breakpoint der ideale Nachfolger für Wildlands werden könnte.“

Tja, eine GamePro-Wertung von 69 Prozent passt nicht unbedingt zu der Beschreibung „idealer Nachfolger“, und die Annahme, die Redaktion habe genug Fachwissen, um ein Spiel auch ohne Spielzeit bewerten zu können, ist natürlich eine infame. So heißt es:

„Aber auch mit diesen leichten Bauchschmerzen blicke ich Breakpoint sehr hoffnungsvoll entgegen. Denn Ubisoft hat anscheinend sehr genau auf die Wünsche der Community gehört und scheint das solide Grundkonzept des Vorgängers mit genau den richtigen Neuerungen aufzupeppen.“

Ubisoft hat tatsächlich überhaupt nicht auf die Wünsche der Community gehört. Im Gegenteil: Konsequent und bis zur Bewusstlosigkeit ist Breakpoint gefüllt mit Elementen, die nicht zur eigentlich taktisch gedachten Serie passen. Das Loot-System wird in nahezu jedem Testbericht kritisch bewertet. Doch GamePro begrüßt es in der Preview:

gameproabsatz

Fast schon dankbar muss man der Redaktion sein, dass danach tatsächlich Zweifel geäußert werden. Würde Ubisoft das Loot-System zu stark den Vordergrund rücken, verwässerte man dadurch das eigentliche Kerngameplay, heißt es. Doch, nun ja: exakt das ist passiert, und GamePro hätte das vielleicht schon in der Vorschau erahnen können. Ohne Spielzeit geht das allerdings nicht.

Ja, wie man es macht, macht man es falsch. Spielzeit für Previews – ja oder nein? Nix davon. Einfach abschaffen. Redaktionen sollten sich in der Vorab-Berichterstattung auf das Vermitteln von reinen Infos konzentrieren. Worum es geht, welches Genre genutzt wird, welche Technik zutragen kommt, wann es erscheinen soll – Details, die zunächst eher wenig von Publishern beeinflusst werden können.

Es sind nackte Tatsachen. Da kann ebenfalls geflunkert werden. Doch das Ausmaß ist ein anderes. Aus dem Kontext gerissene, frisierte Spielszenen und die damit einhergehende, ja oftmals scheiternde Analyse ist dann doch etwas anderes als das Abschreiben von Veröffentlichungsdatum und Story-Zusammenfassung.

Eigentlich wäre die Berichterstattung der GameStar zu Breakpoint an dieser Stelle lobend zu erwähnen. In einigen Texten wurden Zweifel am Spiel durchaus klug erläutert, die sich letztlich auch bewahrheiteten. Doch dann schreibt der Chefredakteur in einem Artikel folgendes:

gamestar-bugs.JPG

Im Testbericht steht allerdings:

gamestar-bugs2

Das ist keine reine Fehleinschätzung, die der Chefredakteur dort traf; von „wird kein Bug-Debakel“ zu „Abwertung wegen Bugs“ muss schon eine Menge passieren, und das kann man zunächst so benennen: fehlgeleitetes Vertrauen. Es war schließlich der gleiche Chefredakteur, der in einem Podcast folgendes sagte:

„Mir ist wichtig, dass uns Ubisoft und Bethesda und wie sie alle heißen vertrauen, weil nur so kriegen wir vor allen anderen wichtige Infos, die wir dann wieder im Sinne unserer User geil aufbereiten können.“

Keine Journalistin und kein Journalist kann wissen, ob Ubisoft alle Bugs entfernt. Wenn einem Chefredakteur allerdings wichtig ist, dass diese Unternehmen der Redaktion vertrauen, dann ist es kein Wunder, dass das Vertrauen auch andersherum angewendet wird. In diesem Fall: darauf vertrauen, dass ein Unternehmen alle Bugs entfernt – obwohl für diese Annahme jegliche Grundlage fehlt.

Fehlende Grundlagen, das kennt der Axel-Springer-Verlag nur zu gut. Weisheit des Tages: jeder Ableger der BILD produziert Bullshit, und diesmal ist es Computer BILD Spiele, die in einer Vorschau zu Breakpoint folgende Prognose abgibt:

cbs-break

Eigentlich war Wildlands ja schon eher dürftig, mauserte sich dann aber doch noch zu einem okayen Taktik-Shooter. In die entgegengesetzte Richtung entwickelte Ubisoft nun Breakpoint. Von einer Weiterentwicklung kann keine Rede sein, es sei denn, man will darüber reden, wie gierige Publisher durch Service-Games dickes Cash verdienen wollen, dann ist Breakpoint nämlich ein tolles Spiel.

Und obwohl zunächst betont wird, man habe ja noch nicht viel gezockt, heißt es dennoch, dass man lediglich abwarten müsse, ob das Missionsdesign passt, obwohl neben dem Missionsdesign unter anderem noch das Lootdesign, das Weltendesign und das Taktikdesign ziemlich räudig unterwegs sind.

Letztlich ist die Berichterstattung zu Breakpoint erneut eskaliert. Überraschend ist das nicht, ich habe bereits hier, hier und hier darüber geschrieben. Man kann die häufig jubelnden Previews umfangreich analysieren, die Fokussierung auf Vorab- statt Danach-Berichterstattung kritisieren, etwaige Verzahnungen von Presse und PR beleuchten, und obwohl all das bereits geschah, fliegen Journalistinnen und Journalisten weiterhin nach Paris und jubeln wie kleine Kinder im Sandkasten.

Vielleicht ist das irgendwie süß. Aber mit Journalismus hat das nicht viel zu tun.

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