In einem aktuellen Video spricht die GameStar-Redaktion über die „Apokalypse“ der Service-Games:
Sogenannte Service-Games sollen jahrelang von Entwicklerinnen und Entwicklern mit Inhalten versorgt werden, und zahlreiche Marken und Studios nahmen sich diesem Trend zuletzt an – doch scheiterten dabei spektakulär. Namentlich: Fallout 76, Anthem und Ghost Recon: Breakpoint, die auch im Video als Beispiel angeführt werden.
Diese „Service-Game-Apokalypse“ hat verschiedene Ursachen, wie die Redaktion im Video erläutert, zum Beispiel geht es um leere Spielwelten und aufgesetzte Loot-Mechaniken. Worum es aber in keiner Sekunde des Videos geht: um die Berichterstattung der GameStar zu eben jenen Service-Games.
Über Fallout 76 schrieb GameStar beispielsweise so:
„Jetzt weiß ich: Fallout 76 wird einfach Fallout 4 mit Koop-Modus und das ist für viele Spieler sicher die beste Nachricht seit Jahren.“
Aus einem weiteren Text:
„Beim ersten Anspielen hat das erste Online-Rollenspiel der Serie uns dann aber doch gleich fünf Mal positiv überrascht.“
Die Grundstimmung vor der Veröffentlichung von Fallout 76 war also positiv. Die finale Wertung jedoch ist weit davon entfernt, lediglich 60 Prozent bekam der Fallout-Ableger. Warum? Weil das Spiel fernab der ursprünglichen Fallout-Identität als Online-Spiel gedacht war und letztlich miserabel umgesetzt wurde.
Journalistinnen und Journalisten hätten das erkennen können, doch sie ließen sich blenden von vorab gezeigten Ausschnitten, über die lediglich der Publisher die Kontrolle hatte.
In der Vorab-Berichterstattung zu Anthem gab es durchaus kritische Stimmen seitens der GameStar. Aber eben auch viel Lob, etwa zur Ankündigung des Spiels. Damals fragte die Redaktion:
„Sieht so das Spiel der Zukunft aus?“
Die ersten Szenen beschrieben die Redakteure äußerst blumig:
„Das wirkt wie eine Szene aus einem Star-Wars-Film“
„Ich fand es beeindruckend, wie detailliert das war“
Kurz vor Release spielte GameStar zudem eine Demo, die ein „technisches Desaster“ gewesen sei, zudem gibt es weitere kritische Einwände. Letztlich endet der Text allerdings so:
Ein „vielversprechendes Spiel“ – was nicht unbedingt im Einklang steht mit der finalen Wertung von 67 Prozent.
Zwei Service-Games also, die krachend gescheitert sind. Vorwiegend lag das am schlechten Gamedesign. Es sind schlicht keine guten Spiele. Doch wie die GameStar unter anderem über Fallout 76 und Anthem berichtete, nährte das Magazin den Hype in gleicher Form wie das irreführende Marketing der Publisher. Obwohl der Fallout-Ableger absolut nichts mit einem Fallout 4 zu tun hat, zieht der Redakteur genau diesen Vergleich – und die vorbestellenden Leserinnen und Leser freuen sich. Natürlich nur bis zur Veröffentlichung des Spiels, denn spätestens da wird klar: das, was die GameStar schrieb, war Quatsch.
Kritisch hingegen berichtete die Redaktion über Ghost Recon: Breakpoint, äußerte Zweifel insbesondere über das Loot-System. Doch auch hier blieb die GameStar nicht ohne Quatsch-Aussage: in einer Preview schrieb der Chefredakteur, dass Breakpoint kein Bug-Debakel werde.
Beim Test fällt auf: oh, Breakpoint ist leider doch ein bisschen verbuggt.
Wenn man also über die Gründe für das Scheitern solcher Service-Games reden will, muss man zwingend auch die Berichterstattung berücksichtigen. Publisher wie EA und Ubisoft nutzen kreischende Berichte nämlich auch für Werbezwecke, und dann passiert es, dass in einer Anzeige für Anthem plötzlich von 90 Awards die Rede ist, obwohl der Shooter zum damaligen Zeitpunkt mit einer Durchschnittswertung von 60 Prozent weit entfernt ist von einem wie auch immer gearteten Preis.
Das Ding ist: Awards werden nicht nur beim Test, sondern auch in der Vorab-Berichterstattung verliehen. Und zack, 90 Awards für ein höchstens mittelmäßiges Spiel, weil Journalistinnen und Journalisten auf Demos hereingefallen sind.
Wunderschön absurd ist auch folgendes Beispiel: Kurz nach der Veröffentlichung von Fallout 76 warb der Publisher Bethesda explizit mit einer Stimme aus einem GameStar-Artikel.
Doof nur: zu diesem Zeitpunkt war bereits der Testbericht online, in dem die Redaktion unter anderem schrieb:
„Fallout 76 ist im jetzigen Zustand, mit all diesen Fehlern, Engpässen und verpassten Chancen einfach kein gutes Spiel – ganz unabhängig davon, wie die Wunderzutat vielleicht aussehen mag.“
Die GameStar-Redaktion gab also ein Zitat aus einer Preview frei, das einen falschen Eindruck vom Spiel entstehen lässt. Vermutlich kursierte die Werbung bereits vor der Veröffentlichung des Spiels, dennoch muss GameStar derlei Zitate freigeben, bevor sie ein Publisher in eine Anzeige aufnehmen kann. Niemand in der Redaktion kalkulierte ein, dass sich dieses Zitat, das letztlich nur auf einem groben Eindruck basierte, als Fehlinformation entpuppen kann – was genau so passierte.
GameStar ist da natürlich nicht allein. Auch GamePro, PC Games und Gameswelt schrieben über Fallout 76 oder Anthem schier Unglaubliches. Es ist ein branchenweites Problem: die Abhängigkeit, in die sich eine Redaktion begibt, sobald sie Demos oder Präsentationen als Grundlage für Previews heranzieht. Zu jedem Zeitpunkt hat der Publisher die Kontrolle über eben jene Inhalte.
Und dann führt es dazu, dass der Publisher ein Spiel vor dem Release so aussehen lassen kann, dass ein Redakteur glaubt, es werde richtig gut, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Dieses Problem wollen die Redaktionen allerdings nicht umgehen; Previews sind seit Jahrzehnten elementarer Bestandteil vom Spielejournalismus.
Auf eine Nachfrage bei Twitter hinsichtlich der Berichterstattung über Service-Games reagierte die Redaktion übrigens nicht.
Deswegen verwundert es kaum, dass eine selten selbstkritisch agierende Redaktion in einem eigentlich gar nicht so doofen Video ein grundlegendes Problem nicht erwähnt.
Schließlich müsste man dann die eigenen, System gewordenen Fehler in den Fokus rücken. Etwas, was kaum eine Redaktion beherrscht – schon gar nicht die GameStar.