Das Online-Rollenspiel ArcheAge muss man nicht kennen, aber man sollte wissen, wie die Spielepresse darüber schreibt. Denn das einst per Free-2-Play zugängliche Spiel wurde drastisch verändert und bekam einen Ableger: ArcheAge Unchained, das per Einmalzahlung erhältlich ist. Ohne Pay-2-Win-Tricks, ohne Abo.
Noch bevor ArcheAge Unchained überhaupt erhältlich war, veröffentlichte die GameStar-Redaktion einen Artikel über die geplanten Änderungen des Spiels. Bereits die Überschrift irritiert:
Als Mischung aus FAQ und Interview enthält der Artikel keinerlei Eindrücke der Redaktion. Weder handelt sich um eine Preview noch um einen Testbericht. Genau ein Monat vor Veröffentlichung von ArcheAge Unchained erschien der Text der GameStar, und dennoch heißt es, ein noch nicht zugängliches Spiel zeige, wie man es umkrempeln könne.
Die massiven Vorwürfe, die es vor Unchained gab, also dass ArcheAge Vorteile im Spiel für echtes Geld anbietet und somit als „Pay2Win“ bezeichnet werden kann, werden bereits in der Headline beiseite gewischt: Diese Probleme, so suggeriert GameStar, sind in Unchained vergessen. Das mag zwar das Versprechen des Publishers sein, war zum Zeitpunkt des Artikels aber keineswegs sicher. Schließlich sagen Publisher viel, wenn der Tag lang ist, und der ist oftmals elendig lang.
ArcheAge Unchained hat der GameStar-Redaktion also gezeigt, wie man ein Spiel umkrempeln kann, ohne dass die GameStar-Redaktion das Umgekrempelte ausgiebig getestet hat. Hm.
Sicherlich wird in dem Text deutlich, dass die Community von ArcheAge alles andere als zufrieden ist mit dem Spiel, die Redaktion zitiert daher aus Steam-Reviews. Eigene Erfahrungen gibt es seitens der GameStar nicht. Die Meinung einiger Steam-User, ArcheAge sei ohne die Pay-2-Win-Mechaniken ein Meisterwerk, lässt GameStar unwidersprochen stehen. Ein Testbericht zu dem Spiel, das ursprünglich 2014 erschien, existiert ebenfalls bis heute nicht. Stattdessen ist es Teil dieser Liste:
Auf der zweiten Seite des Textes fragt die Redaktion nach, was mit der weiterhin verfügbaren Free-2-Play-Version von ArcheAge passieren wird, also jenes Spiel, das massiv unter Kritik steht. Die Antwort des Publishers: Die bleibt, wie sie ist. Weder nimmt die GameStar das als Aufhänger, um den Publisher dafür zu kritisieren, weiterhin eine Pay-2-Win-Alternative anzubieten, noch erklärt die Redaktion im gesamten Artikel, wie genau diese Mechaniken in ArcheAge eigentlich aussehen.
Die positiv besetzte Headline wird übrigens noch absurder, wenn man bedenkt, dass ArcheAge Unchained alles andere als reibungslos startete.
- Kurz nach Veröffentlichung deaktivierte der Publisher Gamigo den sogenannten ArchePass. Durch einen Exploit war es möglich, ziemlich viel Gold zu ergaunern.
- Aufgrund eines weiteren Exploits im spieleigenen Auktionshaus wurde ein Server drei (!) Tage offline genommen.
- Probleme in einem Dungeon führten zu massiven Problemen auf dem gesamten Server. Die komplette Instanz wurde daher deaktiviert.
Ganz schön umgekrempelt hat Gamigo das Teil also, genau. Über diese Probleme hat GameStar übrigens nicht berichtet, und so steht noch immer ganz oben in der News-Übersicht von ArcheAge Unchained die Meldung, wie toll man ein Spiel umkrempeln könne.
Auf die Kritik der Leserinnen und Leser ist die GameStar-Redaktion übrigens nicht eingegangen.
Die wirklich kuriose Berichterstattung gab es aber woanders. Bei Spieletipps ist am 14. November, also ein Monat nach Release von ArcheAge Unchained, folgender Artikel erschienen:
Die Überschrift lässt es bereits erahnen: Es handelt sich nicht um einen Testbericht oder um eine Vorschau, nein, es ist ein Special-Artikel, und der ist tatsächlich sehr special in seinen Formulierungen. In der Einleitung schreibt Spieletipps, immer mehr Onlinespiele entscheiden sich für eine Buy-2-Play-Variante.
„So auch das von der koreanischen Schmiede XL Games entwickelte ArcheAge, das sich in der Unchained-Variante von einem der übelsten „Pay 2 Win“-Vertreter zu einem fairen und fast grenzenlos erkundbaren Sandbox-RPG gemausert hat.“
Da man den Spielstand aus ArcheAge nicht in Unchained übernehmen könne, wäre dies nun der perfekte Einstiegspunkt für Veteranen und Neulinge gleichermaßen.
„ArcheAge-Veteranen, die in der ursprünglichen Version ihr hart erspartes Geld für Gear im Echtgeld-Shop hinblättern mussten, um weiterzukommen, können also aufatmen und frustfrei in Unchained neu starten. Aber auch für MMMORPG-Fans, die Lust auf hunderte Stunden Spielspaß haben, ist der Launch der perfekte Einstiegspunkt.“
Im „riesigen Sandkasten“ von ArcheAge Unchained sei „für jeden etwas dabei“, heißt es im Text weiter. Fans von PvP-Kämpfen sollen in den nun „deutlich ausgewogeneren Belagerungsschlachten auf ihre Kosten“ kommen, während alle anderen sich auf „zahlreiche Multiplayer-Raids stürzen“ können und „riesige Bosse“ ausschalten. Und:
„[…] und die in der Originalversion hinter einer Bezahlmauer versteckte, überraschend komplexe Hausbau-Mechanik schlägt Crafting-Begeisterte nun von der ersten Minute an in ihren Bann.“
Ja geil, wie aufregend das alles klingt. Aber Spieletipps ist noch nicht fertig.
Abgesehen von der Bezugnahme auf die Pay-2-Win-Mechaniken in der anderen ArcheAge-Version, die der Publisher selbst explizit in Pressemitteilungen und Interviews erwähnt, schreibt Spieletipps in dem gesamten Text nicht ein einziges Mal über weitere Kritikpunkte. Hinzu kommt, dass ausnahmslos alle im Text verwendeten Bilder vom Publisher stammen und sogar teilweise in Verkaufsumgebungen wie Steam benutzt werden.
Das heißt: Der Artikel lobt ArcheAge Unchained in jeder Hinsicht.
- Die „enorme, offene Spielwelt“ sei das „wahre Highlight“.
- Die „komplexe Hausbau-Mechanik“ schlage alle in den Bann.
- Es sei ein „faires“ und „fast grenzenlos erkundbares“ Sandbox-RPG.
- „Hunderte Stunden Spielspaß“ könne man mit dem Spiel haben.
- Im „riesigen Sandkasten“ sei für jeden etwas dabei.
Das klingt nicht wie ein ausgewogener Bericht, der Vor- und Nachteile gegenüber stellt und potenziellen Spielerinnen und Spielern mit auf dem Weg gibt, ob das Spiel für sie geeignet ist. Nein, das Ganze klingt nach Werbung.
Eigentlich hat sich Spieletipps zur Aufgabe gemacht, Videospiele zu testen, zu bewerten, zu untersuchen, und eigentlich macht die Redakiton das auch in Testberichten und Previews, doch im speziellen Fall von ArcheAge Unchained werden Floskeln bedient, die ein PR-Manager nicht besser hätte dichten können.
Ist der Text als Werbung markiert? Nein. Normalerweise kennzeichnet Spieletipps solche Anzeigen sehr deutlich, etwa Sponsored Storys, die einen redaktionellen Anschein erwecken, aber oft vom Publisher selbst stammen. Vermutlich handelt es sich hierbei also nicht um Werbung, die ohne entsprechende Kennzeichnung auskommt. Es ist vermutlich simpler: Spieletipps hat schlicht unjournalistisch gearbeitet.
Hinzu kommt, dass ein weiteres Portal, das den Ströer Media Brands angehört, eine ziemliche Lobhudelei zu ArcheAge Unchained veröffentlicht hat: GIGA Games.
Durchaus deutlicher als Spieletipps geht GIGA Games auf die Pay-2-Win-Mechaniken des Hauptspiels ein. In ArcheAge von 2014 existiere ein Echtgeld-Shop, der „vor Pay2Win-Angeboten nur so wimmelte“. Also nichts, was seit Jahren nicht schon bekannt wäre und zum Teil auch vom Publisher selbst zum Release von Unchained kommuniziert wurde.
Ziemlich viel zu sagen hat GIGA Games über die Annehmlichkeiten des Online-Rollenspiels. Die Redaktion will deutlich machen, wie beliebt ArcheAge Unchained zum Launch gewesen sei.
„Pünktlich zur Veröffentlichung am 15. Oktober wurde auch die Server von ArcheAge Unchained von einer Spielerflut überrollt und sogar die teilweise happigen Wartezeiten schreckten die Massen nicht ab.“
Aber hey, das waren natürlich nicht die einzig positiven Worte, wie sogar GIGA Games selbst augenzwinkernd deutlich macht.
„Superlative gibt es aber nicht nur drumherum, sondern auch im koreanischen Sandbox-MMO. Zwei Fraktionen, sechs Rassen, zwölf Spezialisierungen, 22 Berufe und 220 Klassen. Das ist kein Tippfehler.“
Wow, toll, krass! Insgeheim lade ich nebenbei bereits das Spiel, weil ich einfach Bock habe, „völlig frei durch die offene Spielwelt“ zu reisen und mich als „Händler oder als Pirat oder doch als gefürchteter Krieger“ versuchen will. Am Ende des Textes heißt es dann:
Die Pay-2-Win-Mechaniken von ArcheAge sind erneut die einzigen Kritikpunkte, die erwähnt werden, und bedenkt man dabei, dass diese gar nicht in Unchained stattfinden, kritisiert die Redaktion von GIGA Games – genau wie Spieletipps – das Spiel nicht mit einem einzigen Wort. Sicherlich ist der Text nicht als Testbericht gekennzeichnet – aber als was dann? Eine Kennzeichnung von Werbung gibt es nicht. Eine News ist es ebenfalls nicht. In der URL steht lediglich „Artikel“. Das kann alles mögliche bedeuten.
Es bedeutet aber auf jeden Fall nicht, dass GIGA Games ausgewogen über ArcheAge Unchained berichtet hat. Sollte der Text keine Werbung sein, wovon man ausgehen sollte, ist er himmelschreiend schlecht geschrieben, weil nicht klar kommuniziert wird, was man eigentlich gerade liest.
Merkwürdig wirkt unterdessen, dass erneut kein einziges Bild von der Redaktion selbst stammt. Das mag für die Kategorie „News“ üblich sein – doch offensichtlich ist es keine. Noch kurioser wirkt das Ganze, wenn man bedenkt, wie GIGA Games über sich selbst redet:
„Statt auf austauschbare Produktinformationen setzen wir auf Persönlichkeit und eine gute Portion Humor. Spiele sind keine technischen Waren. Für uns sind Games Kultur – und ein wichtiger Teil unseres Lebens.“
Wie wichtig kann dieser Teil schon sein, wenn man nicht mal in der Lage ist, die Artikelformen auf dem eigenen Portal zu benennen und Spiele auch mal kritisch zu betrachten?
Ein Merkmal teilen sich unterdessen beide Texte: ein ähnliches Ende. Bei Spieletipps heißt es:
„Ein Modell für die Zukunft“
„Einmalig bezahlen und dafür ohne finanzielle und zeitliche Mauern Zugang zu allen relevanten Inhalten bekommen: Was ArcheAge: Unchained und Konsorten vorleben, macht in der Zukunft hoffentlich im gesamten MMORPG-Sektor Schule.“
Und bei GIGA Games:
„Weitere grafische Verbesserungen sind geplant, die Zukunft des Spiels sieht also im wahrsten Sinne des Wortes gut aus.“
Hängen bleiben soll nach den Texten vor allem eines: die Zukunft von ArcheAge Unchained sieht rosig aus. Mag es Zufall sein, dass explizit auf das noch Kommende hingewiesen wird? Klar. Man sollte aber auch bedenken, dass Spieletipps und GIGA Games zur Firma Ströer gehören und beide Artikel kurz nach Veröffentlichung von ArcheAge Unchained innerhalb von knapp drei Wochen erschienen sind. Ob es eine Vorgabe war, die Artikel ähnlich enden zu lassen, ist natürlich nicht bekannt, doch auffällig ist es allemal.
Ausgerechnet PC Games, alles andere als ein leuchtendes Beispiel für Anzeigen-Markierungen, hat in einem ähnlichen Zeitraum gesponserte Texte zu ArcheAge Unchained veröffentlicht. Und dies deutlich gekennzeichnet.
Auch das MMO-Portal Buffed, wie PC Games dem Unternehmen Computec zugehörig, veröffentlichte den gleichen Text. Unverkennbar handelt es sich um Werbung. Dort heißt es zum Beispiel:
„Spieler können diese riesige Welt in ArcheAge: Unchained frei und abenteuerlustig bereisen. Alle Mounts, Glider und Pets mit mächtigen Buffs, die bisher für ArcheAge veröffentlicht worden sind, können erspielt werden.“
Hm. Das klingt ja fast wie bei Spieletipps:
„Das wahre Highlight ist die enorme, offene Spielwelt, in der ihr unter anderem Schiffe bauen und damit den riesigen Ozean nach Schätzen absuchen, eure Angel-Fähigkeit hochleveln und gigantische Fische aus dem Wasser ziehen oder legendäre Flug- und Reittiere satteln könnt.“
Oder wie bei GIGA Games:
„Mit eurem Helden reist ihr zu Fuß, auf einem Reittier oder per Gleiter völlig frei durch die offene Spielwelt.“
Und im Gegensatz zu den anderen Magazinen schafft es PC Games tatsächlich, die Quelle der Bilder anzugeben: Gamigo, der Publisher des Spiels.
Weiter heißt es in der Werbung bei PC Games:
„Ruhm können die Spieler in den herausfordernden PvP-Kämpfen etwa als Ritter in glänzender Rüstung oder als berüchtigter Pirat erlangen.“
Oh, ups, hat das GIGA Games etwa so ähnlich geschrieben? Tatsächlich:
„Vielleicht versucht ihr euch als Händler oder als Pirat auf hoher See oder doch als gefürchteter Krieger.“
Was bleibt, ist nicht nur ein fader Beigeschmack. Viele Fragen schwirren umher. Warum berichten GIGA Games und Spieletipps, die beide der gleichen Mutterfirma angehören, so unkritisch über ein Spiel, das nun wahrlich nicht perfekt ist? Warum wird Bildmaterial vom Publisher verwendet, dies aber nicht gekennzeichnet? Wenn es sich bei den Texten nicht um gesponserte Artikel handelt, warum klingen sie dann ähnlich wie jene Beiträge, die als Werbung unter anderem bei PC Games erschienen sind?
Man weiß es nicht. Zumindest einer geht bei dieser Geschichte als Gewinner hervor: ArcheAge Unchained.