Niemand kennt MisBits. Und das ist ein Fehler. Denn glaubt man der GameStar-Redaktion, ist es gar nicht mal so schlecht. In einem Video schwärmt das Magazin über das Multiplayer-Spiel.
(Quelle)
Die Gefechte im „Multiplayer-Geheimtipp“ fühlen sich laut GameStar „frisch, taktisch und dynamisch“ an. Kritisiert wird das Spiel dabei kaum. Es fehlen zwar aktive Spieler*innen, wie es im Video heißt, doch die eigentliche Qualität des Spiels ändert sich dadurch zunächst nicht.
„Doppelt schade“ sei hingegen das Fehlen des „Toybox“ genannten Editors von MisBits, in dem man eigene Level bauen und anderen Spieler*innen zur Verfügung stellen kann. Wobei auch das Fehlen des Editors nicht so richtig schlimm ist, denn GameStar erkennt hier „eine ganze Menge Potenzial“. Und weiter:
„Die Langzeitmotivation könnte damit [mit dem Editor] ins Unermessliche steigen.“
Durch die Kreativität der Spieler*innen könnte die „sehr spaßige Grundlage noch deutlich variantenreicher werden“. Da tagsüber nur selten Spieler*innen anzutreffen sind, sollte man sich, sofern man nur mittags Zeit hat, den Kauf von MisBits gut überlegen, heißt es. Aber die Entwickler*innen arbeiten mit Hochdruck daran, die Zahl der Spielenden zu erweitern, erzählt die Redaktion im Video. Das heißt: MisBits ist ein gutes Spiel, obwohl es sich erst in der Early-Access-Phase befindet und es zu wenig Menschen zocken. Toll!
Eines hat die GameStar-Redaktion in dem 7-minütigem Video allerdings nicht verraten: Der Publisher von MisBits, „3BlackDot“, gehört zur Mutterfirma Webedia – genau wie GameStar.
Ups.
Ein Zitat aus dem GameStar-Kodex wirkt nun beinahe wie blanker Hohn:
„Wir helfen euch, das Beste aus eurem Lieblingshobby zu holen – redaktionell unabhängig und mit hohem journalistischen Qualitätsanspruch.“
Wie diese redaktionelle Unabhängigkeit aussieht, zeigt GameStar in einem nahezu ausschließlich positiv gestimmten Video über den „Multiplayer-Geheimtipp“ namens MisBits, das sich „frisch, taktisch und dynamisch“ anfühlt. Zwar kann die Redaktion noch nicht jedem zum Kauf raten, allerdings könnte ein nahendes Feature die Motivation ins „Unermessliche steigen“ lassen, wie es weiter heißt, all das über ein Spiel von einem Publisher, der zur gleichen Mutterfirma gehört wie auch GameStar.
In den Kommentaren des Videos melden sich mehrere Community-Mitglieder zu Wort, die genau das anprangern. Die Redaktion antwortet auf einen fehlenden Disclaimer wie folgt:
„das [der Hinweis auf Webedia] ist leider beim Online-Stellen des Videos vergessen worden. Bei den Artikeln auf der Websites war es immer dabei. Wir haben es hier jetzt auch ergänzt.“
Nachdem sich also mehrere User über die miserable Transparenz aufregen, fügt GameStar einen Hinweis ein – wohlgemerkt nach der Veröffentlichung des Videos. Nicht aber in die Headline mit einer wie auch immer gearteten Anzeigenmarkierung, auch das Video selbst wurde nicht nachträglich bearbeitet. Erst in der Videobeschreibung wird deutlich, in welchem Verhältnis GameStar und MisBits stehen …
… wobei das nur dann erkenntlich wird, wenn man die Videobeschreibung vergrößert. Wichtiger ist zunächst der Werbelink für eine Key-Verlosung.
Wow.
Zum Glück berichten auch andere Magazine über MisBits. Jene, die redaktionell unabhängig arbeiten. Zum Beispiel das Portal Mein-MMO. Am 5. März ist folgender Text erschienen:
Und am 13. März folgte dieser Artikel:
Tatsächlich scheint MisBits ein tolles Spiel zu sein, denn auch hier jagt ein Lob das nächste:
„Wer es noch nicht auf dem Schirm hat, der sollte es sich unbedingt ansehen.“
„MisBits bietet eine große Auswahl an Spielmodi und Inhalten, die ihr erforschen könnt.“
„Mit einer Handvoll meiner besten Kumpels könnte MisBits sicherlich für viele lustige Abende sorgen, zumal die Vielfalt der Spielmodi für Abwechslung sorgt.“
„Alles in allem ist MisBits eben ein Party-Game und sollte als solche auch gespielt werden. Mit guter Laune macht’s richtig Bock, am besten mit Freunden und ausgelassener Stimmung.“
„Was mich beim Spielen am meisten überrascht hat, ist die Vielfalt der Möglichkeiten, die MisBits bietet. Egal, auf was ich gerade Lust habe, in einem der Modi werde ich mir die Zeit vertreiben können.“
In beiden Artikeln werden mehrere Abschnitte den noch fehlenden Inhalten gewidmet, und bevor überhaupt bekannt ist, wie gut oder schlecht diese letztlich sein werden, schreibt Mein-MMO unter anderem folgendes:
„Mit der ToyBox, die noch kommt, habt ihr Zugriff auf fast alle Entwickler-Tools, mit denen ihr eigene Level und Spielmodi bauen könnt. Die Grenzen sind dabei eure eigene Kreativität.“
„Die Modi, die bisher im Spiel sind, sind noch nicht endgültig. Es werden noch mehr Spielmodi kommen, darunter auch ein Kreativ-Modus, bei dem Spieler ihre eigenen Spiele und eigene Regeln erstellen können. Dazu stehen den Spielern dann fast alle Entwickler-Tools zur Verfügung, um sich frei auszutoben. Ich freue mich schon, wenn die ersten Spieler eigene Rätsel-Maps erstellen oder riesige Häuser, die ich erkunden darf.“
Die kleine Basis an Spieler*innen wird in den Texten auch erwähnt, aber inhaltliche Kritikpunkte hat Mein-MMO offensichtlich nicht gefunden. MisBits ist also fast frei von Fehlern.
Oh, übrigens: Mein-MMO gehört ebenfalls zu Webedia. Ein kleiner Disclaimer am Ende der Artikel weist immerhin deutlicher darauf hin als das Schwestermagazin GameStar im Video.
Die Berichterstattung über MisBits erscheint skurril. Kaum ein Magazin in Deutschland berichtet über den Mehrspieler-Titel – außer jene Redaktionen, die zur gleichen Mutterfirma gehören wie der Publisher des Spiels. Die beteiligten Redaktionen von Mein-MMO und GameStar machen das zwar kenntlich, allerdings nur begrenzt.
Wenn das größte deutschsprachige Spielemagazin namens GameStar über ein Spiel fast ausschließlich positiv berichtet und das betreffende Video keinen Hinweis zur selben Mutterfirma von Redaktion und Publisher enthält, sondern lediglich unten in der Beschreibung des Videos, nimmt die Redaktion eine Irreführung der Zuschauerinnen und Zuschauer bewusst in Kauf.
GameStar beteuert in den Kommentaren bei YouTube, man habe für das Video kein Geld bekommen. Das Video sei „unabhängig“ entstanden, man wolle Zuschauer*innen nichts „andrehen oder aufschwatzen“. Sicherlich mag das stimmen, ich bezweifle es nicht. Auch rechtlich mag der Disclaimer in der Videobeschreibung ausreichend sein.
Die Art und Häufigkeit der Berichterstattung irritiert allerdings. Auf GameStar.de finden sich sechs News, zwei Videos und ein Artikel sowie das redaktionelle Video auf dem YouTube-Kanal. Mein-MMO hat vier mal über MisBits berichtet.
Und hier der Vergleich mit anderen Magazinen:
- IGN Deutschland (gehört zu Webedia): ein Artikel
- 4Players: eine News
- GamersGlobal: keine Berichterstattung
- Playcentral: keine Berichterstattung
- GIGA Games: keine Berichterstattung
- Gameswelt: keine Berichterstattung
- PC Games: keine Berichterstattung, nicht mal ein Datenbank-Eintrag
- Spieletipps: keine Berichterstattung, nicht mal ein Datenbank-Eintrag
Bedenkt man, dass die einzigen Kritikpunkte von Mein-MMO und GameStar weniger spielmechanischer Natur sind, sondern auf fehlenden Spieler*innen basieren, ergibt sich ein zweifelhaftes Bild der Unabhängigkeit der Berichterstattung.
In den Disclaimern der GameStar heißt es, man werde MisBits nicht testen, aber „neutral“ darüber berichten, und das bedeutet indes nicht, in lediglich sachlichen Formaten wie der News-Berichterstattung ohne Wertung auf das Spiel hinzuweisen, sondern sehr, sehr positive Meinungen von Redaktionsmitgliedern und freien Autoren zu veröffentlichen, auf deren Meinungsbildung aber eben weder Webedia noch der Publisher aus dem Hause Webedia Einfluss genommen haben.
Neutral halt, genau.
Problematisch fällt in diesem Zusammenhang die neuerlichen Bemerkungen einiger Redaktionsmitglieder der GameStar auf. Auf die Beschwerde, GameStar berichte zu viel über jene Spiele, die ohnehin schon viel Aufmerksamkeit bekommen, schreibt ein freier Autor folgendes:
„Könnte natürlich daran liegen, dass Artikel nicht gemacht werden, um Spiele mit geringer Aufmerksamkeit zu unterstützen, sondern um von der Beliebtheit von Titeln zu profitieren, die genau wegen dieser Beliebtheit auch angeklickt und gelesen werden. Wenn du nur eine begrenzte Anzahl von News bringen kannst und davon leben musst, berichtest du über das, wovon du deine Autoren bezahlen kannst und nicht wiederholt (im Fall von Twelve Minutes) über ein kleines Indie-Spiel ohne großes Publikum oder festes Erscheinungsdatum.“
Was für ein fades Eingeständnis der eigenen journalistischen Faulheit. Von der Beliebtheit großer Titel profitieren zu wollen, mag einerseits logisch sein, andererseits offenbart sich ein verheerendes Bild einseitiger Berichterstattung, die von Blockbustern gelenkt wird.
Indie-Spiele finden dennoch statt auf GameStar.de. Nur eben in einem begrenzten Rahmen. Und oft gar nicht. Ein Blick ins GameStar-Forum zeigt, wie häufig Community-Mitglieder nach Berichten zu Spielen fragen – und die Redaktion das verneint.
- Test zu „Broken Lines“? Nein.
- Test zu „Eco: Global Survival“? Nein.
- Test zu „Walking Dead: Saints & Sinners“? Nein.
- Test zu „Ironsight“? Nein.
- Berichterstattung zu „Cliff Empire“? Nein.
- Berichterstattung zu „Automobilista 2“? Nein.
- Test zu „Post Scriptum: The Bloody Seventh“? Nein.
Wie der GameStar-Chefredakteur den fehlenden Testbericht zu „Post Scriptum: The Bloody Seventh“ rechtfertigt, ist indes interessant:
„Stand jetzt ist kein Test geplant. Der Titel wird auf Steam im Schnitt leider nur von rund 200 Leuten gespielt, die Nutzerreviews sind auch nur ausgeglichen. Zu wenig, um für uns den Testaufwand zu rechtfertigen.“
Wenn also im Schnitt zu wenig Menschen ein Spiel zocken, lohnt sich die Berichterstattung nicht, heißt es vom Chefredakteur. Die Seite „Steam Charts“ ermöglicht übrigens auch Laien, die Zahl der Spieler*innen herauszufinden. Und die sieht bei Misbits so aus:
(Quelle, Stand: 19.05.2020)
GameStar hat über MisBits in Form von Videos, Artikeln und News berichtet, obwohl es weniger Spieler*innen hat als Post Scriptum, zu dem nach Angaben des Chefredakteurs die 200 zockenden Menschen nicht für Berichterstattung ausreichen. Kurios.
Es ist eine stete Abwägung, wann und wie Redaktionen berichten. Nicht nur Reichweite ist dafür entscheidend, schließlich berichtet die GameStar-Redaktion hin und wieder über jene Spiele, die nicht über tausende aktive Nutzer*innen auf Steam verfügen. Und doch argumentieren Redakteurinnen und Redakteure oft mit dem Argument der Reichweite und der damit einhergehenden Stille. Nicht alles kann beleuchtet werden, heißt es. Es lohnt sich nicht, heißt es. Man muss Geld verdienen, heißt es.
Alles richtig. Nur: Knapp über 300 Menschen haben MisBits am Höhepunkt gespielt, im Durchschnitt sind es sogar unter 100. Eine katastrophale Zahl für ein Spiel, das auf Mehrspieler-Gefechte ausgelegt ist. Womit begründet daher die GameStar-Redaktion die Berichterstattung, die im Verhältnis anderer unbekannter Indie-Spiele ziemlich umfangreich ausfällt? Ist es die Qualität des Spiels? Der Charme? Das Gameplay? Oder die Verbindung zu Webedia?
Aufmerksamkeit durch Berichterstattung kann helfen, besonders dann, wenn es sich um das größte deutschsprachige Spielemagazin handelt. Wenn der Publisher von MisBits nicht zur selben Mutterfirma gehören würde wie GameStar und Mein-MMO – hätte eine Berichterstattung in der gleichen Form, Qualität und Quantität stattgefunden?
Sieht man von den Webedia-Magazinen ab, hat kein Magazin in Deutschland umfassend über MisBits berichtet. Das mag schade sein für das Team der Entwickler*innen. Und auch wenn Disclaimer auf die Verbindung zwischen Webedia, MisBits und den betreffenden Redaktionen hinweisen, muss sich gerade GameStar Kritik gefallen lassen, die als Magazin immer wieder mit dem Argument der Reichweite über viele Spiele den Mantel des Schweigens legt, dies aber ausgerechnet bei einem Spiel aus der gleichen Unternehmensgruppe anders handhabt – nämlich mit dem ganzen Paket an Berichterstattung: News, Artikel und Videos.
Auf der Hand liegt die Lösung für das Problem: Keine Berichterstattung über Spiele vom gleichen Mutterkonzern. Das ist eigentlich nicht so schwierig und ziemlich offensichtlich.
Offensichtlicher sollte es indes sein, den Disclaimer nicht in der Videobeschreibung unter dem Werbelink zu verstecken, sollte man eben doch nahezu ausschließlich positiv über solch ein Spiel berichten.
Nur ist das wohl nicht jeder Redaktion mit „journalistischem Qualitätsanspruch“ eingefallen.
Nachtrag, 20.05.2020:
Leider habe ich den Link zum Kommentar des freien GameStar-Autors vergessen, wie er sich zum Thema Indie-Spiele äußert. Hab’s nachgetragen. Ich bitte um Entschuldigung!
Habe den Bohei um MisBits auch wahrgenommen und im Kollegenkreis waren wir darüber erstaunt wie vermeintlich unabhängige Spielemagazine, wie Mein MMO und Gamestar mit deren Redakteuren, so gute wohlwollende Werbetexte/Advertorials zu schreiben in der Lage sind.
Den oben zitierten desillusionierenden Foren-Kommentar zum Game „Twelve Minutes“ habe ich ebenfalls gelesen. Für mich übersetzt bedeutet der Kommentar; Gamestar ist kein Games-Magazin mehr sondern ein Trendmagazin, welches wie ein Putzerfisch Klicks von sowieso bekannten Titeln abgreift.
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Mittlerweile kommuniziert GameStar ja relativ deutlich, wie viele Leser*innen von Google kommen. 60, 70 Prozent? Sie machen keinen Hehl mehr daraus, vermehrt über das zu berichten, was gut klickt. Klingt ja auch logisch, schließlich verdient man so Geld, allerdings darf journalistische Berichterstattung nicht derart datengetrieben sein. Zum Glück kritisieren das viele Leserinnen und Leser, doch solange GameStar erfolgreich damit ist, wie ja auch der Chefredakteur betont, wird es vermutlich noch schlimmer werden.
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