Medienkritik

Release von GTA 6: Null-News statt null News

Nun ist die Katze aus dem Sack: GTA 6 erscheint. Genau genommen nicht sehr bald. Frühestens 2023. Dann aber richtig. Wer das sagt? Na, alle.

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(GameStar.de)

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(Mein-MMO.de)

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Wie einige Überschriften bereits andeuten, stammen die vermeintlichen Hinweise aus einem Finanzbericht von Rockstar-Inhaber Take-Two. Dort sei für das Fiskaljahr 2024 (April 2023 bis März 2024) ein ungewöhnlich hohes Marketingbudget verzeichnet. Natürlich stammt diese Analyse nicht von der journalistischen Expertise aus diversen Redaktionen, sondern von einem Finanzanalysten (zum Dokument). Unter anderem die korrekte Vorhersage bei Rockstars Red Dead Redemption 2 führt zu dieser Argumentation, als Take-Two vor einigen Jahren ein ähnlich hohes Marketingbudget vor dem Release des Western-Spiels angegeben hatte.

Problem: das ist Quatsch, Quatsch, Quatsch. Denn das vermeintliche Marketingbudget für GTA 6 bezieht sich nicht auf GTA 6.

Die im Finanzbericht angegebene Summe wurde von einem Analysten als ein Indiz für eine Veröffentlichung im entsprechenden Fiskaljahr gesehen. Nur hat Take-Two das inzwischen dementiert. Das Budget beziehe sich auf Spiele von Third-Party-Studios, wie ein Sprecher gegenüber Gamesindustry.biz klar gestellt hat:

„A Take-Two representative told GamesIndustry.biz that the table in the 10-K reflects marketing commitments made to third-party companies. As Rockstar is an internal Take-Two studio, that undermines the notion that the reported marketing commitments would be related to the next Grand Theft Auto.“

Wie fragwürdig das Statement des Analysten scheinbar ist, erkennt man im Finanzbericht selbst. Weil, naja: das steht da irgendwie so, wie der Take-Two-Sprecher sagte. Zumindest deutet das ein GameStar-User in der Kommentarspalte der News an.

Um das aufzudröseln, genügt ein Blick in den – zugegeben – unübersichtlichen Bericht.

finanzberichttake

Die viel zitierte Summe von 89 Millionen US-Dollar Marketingbudget ist in der Spalte „Marketing“ unter dem Punkt 15 zu finden. Okay, cool, ist doch alles klar – nicht wirklich. Der Analyst hat offenbar einen klaren Hinweis direkt unter der Tabelle übersehen, in dem das Marketingbudget eingeordnet wird:

„We have certain minimum marketing support commitments where we commit to spend specified amounts related to marketing our products. Marketing commitments expire at various times through September 2025 and primarily reflect our agreements with major sports leagues and players‘ associations.“

Das Budget bilde also hauptsächlich Verträge mit „major sports leagues and players‘ associations“ ab. GTA 6 ist damit nicht gemeint, sondern eventuell, ganz vielleicht und auch nur möglicherweise: ein Sportspiel. Zumindest schlussfolgert der GameStar-User das:

„Die GTA Marketingkosten würde man in diesem Bericht nicht sehen. Man könnte stattdessen über ein neues Sportspiel, spekulieren. Ob damit Lizenzgebühren oder nur „Mindest-Marketingausgaben“ gemeint sein, weiß ich auch nicht.“

Ist es tatsächlich möglich, dass ein Finanzanalyst einen so elementaren Hinweis übersehen oder falsch interpretiert hat? Vielleicht. Es ist kompliziert.


Schiebt man die Verwirrung um den eigentlichen Finanzbericht beiseite, bleiben weitere Fragen. Schließlich wird GTA 6 nirgends erwähnt. Weil GTA 6 offiziell nicht existiert. Weder Take-Two als Inhaber von Rockstar noch Rockstar selbst äußerte sich zu GTA 6. Der aktuelle Finanzbericht hat dies nicht geändert. Warum beziehen diverse Magazine vage Berichte und Analysen auf GTA 6?

Weil es klickt. Kaum eine Spielereihe ist beliebter als Grand Theft Auto. Eine Berichterstattung wird sich lohnen; wer bei Google nach GTA 6 sucht, findet dutzende, wenn nicht gar hunderte News über ein Spiel, von dem niemand mit Sicherheit weiß, ob es existiert, und falls ja, wann es erscheint und in welcher Form. Dennoch kommen mittlerweile wöchentlich neue Meldungen dazu. Wie kann das sein?

Das Prinzip ist simpel: Jede Andeutung, die zwar nichts mit GTA 6 zu tun hat, aber von den entsprechend verantwortlichen Firmen wie Rockstar oder Take-Two stammt, wird automatisch auf das unangekündigte Spiel umgemünzt. Anschaulich dargelegt beim aktuellen Beispiel:

  • Take-Two veröffentlicht den obligatorischen Finanzbericht. Nirgends wird ein potenzielles GTA 6 erwähnt. An keiner Stelle.
  • Wie bei einem Finanzbericht üblich, ist er zwar einsehbar, aber unübersichtlich, lang und schwer verständlich. Eine vermeintlich hohe Marketingsumme für das Fiskaljahr 2024 wird dabei von einem Analysten medienwirksam gepusht – und auf GTA 6 bezogen.
  • Weltweit berichten Magazine darüber. Nicht aber allein über den Finanzbericht, schließlich lässt der keine stichhaltige Argumentation hinsichtlich GTA 6 zu, da jedes andere Spiel gemeint sein kann. Erst die Finanzanalyse ermöglicht es den Redaktionen, GTA 6 in die Headline zu schmeißen, weil ein vermeintlicher Profi eine vermeintlich akkurate Vorhersage trifft, die als Hinweis gedeutet wird, der „nie konkreter“ war – aber sich letztlich als Bullshit entpuppte.

Mehr zum Thema:


Wie himmelschreiend absurd das in der Realität aussieht, haben viele Magazine nicht erst jetzt bewiesen; doch die Lücken zwischen den Quatschigkeiten wird immer kleiner. Am 22. Mai schrieb GameStar beispielsweise:

gamestar-konferenz

Wohlgemerkt: das bezieht sich nicht auf den Finanzbericht, sondern auf eine Investorenkonferenz. Fünf Tage liegen zwischen den einzelnen News.

Worauf beziehen sich die News von vor fünf Tagen?

„Zwischen den ganzen angeblichen Leaks und Fan-Theorien gibt es jetzt einen neuen Hinweis auf den potentiellen Release-Termin von Grand Theft Auto 6 – und der stammt von Publisher Take-Two höchstpersönlich.“

Das ist ziemlich überspitzt dargestellt und genau genommen falsch.

GTA 6 wird in der Konferenz nicht erwähnt. Natürlich nicht. Lediglich spricht Take-Two von 93 Spielen, die man veröffentlichen möchte und von Fortsetzungen ihrer größten Marken. Ja, damit kann GTA 6 sein. Es muss aber nicht. Schließlich stammt das Statement nicht von Rockstar, sondern von der Mutterfirma Take-Two, die Marken wie Bioshock besitzt.

Wie diverse Redaktionen auf den Releasezeitraum von 2022 kommen, ist ähnlich fragwürdig. Take-Two spricht von einem eher „leichten“ Fiskaljahr 2021, aber ab 2022 soll es wieder richtig losgehen. Oder wie GameStar es umschreibt:

„Demzufolge soll 2021 eher ein »leichtes Jahr an neuen Releases« werden, spätestens im Fiskaljahr 2022 will man dann aber in die Vollen gehen. Es liegt Nahe, dass GTA 6 eher nicht zu den leichten Releases von Take-Two zählt. An dieser Stelle sollte man jedoch nicht die anderen Schwergewichter des Publishers vergessen – wie zum Beispiel Bioshock oder NBA 2K. Das könnte bedeuten, dass eine Veröffentlichung von GTA 6 im Zeitraum 2022 bis Anfang 2023 durchaus wahrscheinlich wäre.“

Wie verrückt das ist! Zunächst wird GTA 6 nirgends bei der Investorenkonferenz erwähnt, doch die GameStar bezieht sich explizit auf das Spiel, obwohl zwei Sätze später andere große Marken von Take-Two als potenzielle „Fortsetzungen“ dieser Marken erwähnt werden, nur um dann buchstäblich einen Satz nach diesem Hinweis zu schlussfolgern, eine Veröffentlichung von GTA 6 sei zwischen 2022 und 2023 wahrscheinlich.

Innerhalb von nur fünf Tagen ist also folgendes passiert:

  • Take-Two hält eine Konferenz mit Investoren ab. Man wolle 93 Spiele veröffentlichen. Welche das sind, wird nicht erwähnt. Das Fiskaljahr 2021 werde als „leicht“ bezeichnet. Ab 2022 soll sich das ändern, unter anderem mit Fortsetzungen bekannter Marken, also theoretisch Grand Theft Auto, aber auch Bioshock oder bekannte Sportspiele kämen infrage. Explizite Titel werden dabei aber nicht genannt.
  • Diverse Redaktionen titeln nun, es gebe Hinweise von Take-Two auf ein potentielles Releasedatum von GTA 6 im Fiskaljahr 2022. Das ist inhaltlich nicht richtig. Schlicht unklar ist es, wer oder was damit gemeint sein könnte; mehrere Marken, nicht nur GTA, kommen infrage. Auch der Bezug zum Fiskaljahr 2022 hält einer Überprüfung nicht stand, da die Veröffentlichungen der erwähnten Fortsetzungen ja eben nicht nur 2022 stattfinden müssen.
  • Einige Tage später wird der Finanzbericht von Take-Two analysiert. Eine hohe Marketingsumme soll den Release von GTA 6 eingrenzen. Im Fiskaljahr 2023 soll es erscheinen, heißt es von diversen Redaktionen, die sich dabei auf einen Analysten beziehen.
  • Take-Two stellt klar, dass das Marketingbudget für Spiele von Third-Party-Herstellern benutzt wird. GTA 6 ist also nicht gemeint.
  • Falsch sind somit diverse News, die behaupten, GTA 6 werde 2022 erscheinen, und jene Berichte, die fünf Tage später folgen, die die These aufstellen, GTA 6 werde 2023 erscheinen, entsprechen ebenfalls nicht der Wahrheit.
  • Fazit: What the fuck?

Unglücklich erscheinen nach all dem Hickhack mehrere Kommentare der GameStar-Chefredaktion. Diverse Community-Mitglieder beschweren sich über den Inhalt der Finanzbericht-News. So heißt es unter anderem:

gamestar-kommentar

Ein Mitglied der Chefredaktion antwortet so darauf:

gamestar-kommentar2

GameStar impliziert also, der sich kritisch äußernde User habe die Information der News nicht erfasst. Nur: Worin besteht die Information? Mehrere Leserinnen und Leser fragen nach. Die Antwort der GameStar:

„Ihr haltet es nicht für eine Nachricht, dass 2K Games für diesen Zeitraum ein erhebliches Marketing-Budget reserviert hat, wie es bislang nur für Rockstar-Titel vorkam? Ich würde da schon einen Nachrichtenwert sehen, aber ich akzeptiere eure andere Sichtweise.“

Die Analyse der GameStar-Redaktion besteht also darin, eine fürs Marketing gedachte Summe sei ein tatsächlicher Hinweis von Take-Two zu GTA 6. Letztlich ist es nur eine Zahl, die im Finanzbericht selbst teilweise eingeordnet wird. Reichlich absurd es ist außerdem, wie GameStar sich selbst mit der Erwähnung von einem „Rockstar-Titel“ widerspricht und die überzogene Herleitung zu GTA 6 entlarvt. Schließlich besteht Rockstar nicht nur aus GTA – doch GTA klickt am besten. Der von GameStar ausgesprochene „journalistische Qualitätsanspruch“ hat dann leider zu warten, sobald kleinste Andeutungen emotionalisiert als GTA-Headline verkauft werden müssen.

Blöd auch, dass der von GameStar erwähnte Nachrichtenwert innerhalb weniger Stunden zu einem großen Haufen Quatsch wurde. Zumal es offensichtlicher Quatsch war. Eine Nachfrage bei Take-Two hätte geholfen. Allein: GameStar wollte sich die Headline nicht verderben lassen. So wie viele andere Magazine.

Hinzu kommt die ständige Änderung vermeintlicher Tatsachen und Hinweise. Wenn GameStar und diverse andere Medien von konkreten oder eindeutigen Hinweisen sprechen, zitieren sie meist unglaublich vage und abstrakte Statements, die sich eben nicht konkret oder eindeutig auf GTA 6 beziehen. Durch die stete Wandlung vom vermeintlichen Stand der Dinge und die damit einhergehende, als glaubwürdig dargestellte Berichterstattung verlieren Leserinnen und Leser zurecht das Vertrauen in derlei Texte.

Viele Redaktionen berichten dennoch unentwegt weiter. Und reagieren dann sogar noch frech auf Kritik. Als ein Community-Mitglied der GameStar in der Diskussion über die News schreibt, es sei eine „Null-News“ und dies entsprechend aufwendig mit Argumenten belegt, antwortet ein Mitglied der Chefredaktion:

„Da es keine „Null-News“ ist, ist diese Argumentation nur leider hinfällig ;)“

Nur wenige Minuten nach dem Kommentar der Chefredaktion dementierte Take-Two die Gerüchte und entlarvte die Berichte als, tja: „Null-News“.

Hauptsache, die unantastbare Berichterstattung von GameStar, GamePro und all den anderen bleibt stabil – bis zur nächsten Falschmeldung über GTA 6 und bis zur nächsten Ausrede. Lange wird’s nicht dauern.

Wetten?

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