Medienkritik

Der heimlich gelöschte Gender-Krieg der Gamestar

Ein Video nachträglich ändern und dies nicht kenntlich machen, das wäre vermutlich ein journalistisches Totalversagen – wenn dann noch rechte Kampfbegriffe dazu kommen, wird’s unangenehm. Doch von vorn.

Am 23. August veröffentlichte die GameStar-Redaktion ein Test-Video über das neue Saints Row. Über 13 Minuten spricht der Redakteur über das Spiel und die Stärken und Schwächen. Nichts deutet auf eine Besonderheit hin, darauf, dass das hundertfach genutzte Format der Review-Videos hier plötzlich anders funktioniert. Entsprechend positiv äußern sich die Zuschauer:innen.

„Schönes, unaufgeregtes und nicht zu negatives Review welches einen guten Blick aufs Spiel bietet.“

„Ausgewogene und objektive review. So stellt man sich das vor!“

„sehr gute review!“

Über 200.000 Aufrufe und knapp 800 Kommentare generierte das Video allein auf Youtube. Nichts scheint ungewöhnlich zu sein.

Dass die GameStar das Video nachträglich bearbeitete und einen Teil entfernte, werden allerdings die wenigsten gemerkt haben – schließlich hat die Redaktion das nicht kenntlich gemacht.

Ab Minute 6 spricht der Redakteur über Story und Charaktere des Spiels. Bereits der Trailer habe für Kritik gesorgt, heißt es. Besonders „alteingesessene Fans“ der Reihe hatten die Befürchtungen, das Spiel werde zu „hipstermäßig“ und „möchtegern-woke“, doch da könne der Tester Entwarnung geben. Weiter heißt es:

„Man kann die neuen Figuren mögen oder nicht mögen, aber man kann Saints Row nicht vorwerfen, dass es besonders woke sein will. Die Figuren mögen manchmal ein bisschen albern wirken […] oder stellenweise ein bisschen eindimensional rüberkommen, aber das ist im schlimmsten Fall schlechtes Writing, mehr nicht.“

In der aktuellen Version des Videos wird nicht deutlich, dass die GameStar hier einen Teil weggeschnitten hat.

Das Originalvideo liegt mir vor. In der ursprünglichen Version sprach der Redakteur von einem „Gender-Krieg“ in einer Marvel-Serie. Hier die gesamte Passage, der rot markierte Teil wurde entfernt:

Man kann die neuen Figuren mögen oder nicht mögen, aber man kann Saints Row nicht vorwerfen, dass es besonders woke sein will, dass es irgendeine Agenda allzu sehr pusht. Das hat natürlich moderne Elemente drin, das macht sich auch ein bisschen lustig über diese Elemente, aber für jemanden der, wie ich zum Beispiel, selbst nicht gendert und der bei sowas wie She-Hulk nach der Hälfte der ersten Episode ausschaltet, weils ihm einfach zu blöd ist wie plump da versucht wird, einen Gender-Krieg aufzuziehen, hatte ich bei Saints Row nie das Gefühl, dass hier eine besondere Agenda irgendwie gepusht werden soll. Die Figuren mögen manchmal ein bisschen albern wirken […] oder stellenweise ein bisschen eindimensional rüberkommen, aber das ist im schlimmsten Fall schlechtes Writing, mehr nicht.

Die derzeitige Version des Videos ist 13:23 Minuten lang, während die erste Version bei 13:51 Minuten liegt. Knapp 30 Sekunden hat GameStar also entfernt, ohne dies kenntlich zu machen. Warum?

Die Frage geht in zweierlei Richtungen:

  • Warum hat GameStar einen Teil eines bereits veröffentlichten Videos entfernt, ohne dies den Zuschauerinnen und Zuschauern mitzuteilen?
  • Warum überhaupt hat GameStar einen Teil eines bereits veröffentlichten Videos entfernt?

Die Antworten auf beide Fragen dürften gleichermaßen verunsichern. Denn jede mögliche Antwort liefert weitere Fragen. Eine aktuelle Marvel-Serie zu kritisieren, ist indes kein Problem. Wieso auch? Klug formulierte, gern auch polarisierende, aber nachvollziehbare Kritik kann einen Diskurs erweitern.

Problematisch wird es, wenn einer Serie ein „Gender-Krieg“ bescheinigt wird und niemand dieses bockige Wort näher erklärt. Das Wording „Gender-Krieg“ scheint bewusst ausgewählt und soll die negative Einstellung des Redakteurs gegenüber der Marvel-Serie She-Hulk und das Thema Gender betonen. Im Video wird nicht darüber gesprochen, wie eine Serie das Thema aufgreift und damit aus wie auch immer gearteten Gründen scheitert, es wird nicht gesagt, wie eine Serie der Popkultur mit Geschlechtern umgeht und dabei valide, aber vielleicht auch umstrittene Punkte in die Diskussion ruft.

Nein, all das passiert nicht. An einer ausgewogenen Diskussion an der Darstellung von Mann, Frau, nicht-binären oder genderfluiden Menschen hat der Redakteur offensichtlich kein Interesse. Stattdessen: Ein GameStar-Journalist sieht einen „Gender-Krieg“ in einer Serie, von der er – laut eigener Aussage – nicht mal die Hälfte der ersten Episode gesehen hat.

38 Minuten umfasst die erste Folge von She-Hulk.

19 Minuten haben also ausgereicht, damit der GameStar-Journalist einen „Gender-Krieg“ erkannt haben will in einer Serie mit weiblicher Hauptfigur.

Nun entschied sich die GameStar-Redaktion dazu, den entsprechenden Teil zu löschen. Es hat offenbar ein Prozess stattgefunden, der als Ergebnis die Löschung von knapp 30 Sekunden eines Testvideos veranlasste. Warum verschweigt die Redaktion das?

Schließlich hatte GameStar mehr als nur eine Gelegenheit, das Vorgehen transparent zu kommunizieren – denn im Kommentarbereich fragen mehrere User nach den gelöschten Inhalten.

„Warum wurde denn bei 7:12 ein Rückzieher gemacht und das Original gecuttet?“

„Game Star, ihr seid Feiglinge. Ihr wisst schon weswegen.“

„Was soll das Gamestar? Die beste Stelle des Videos habt ihr einfach nachträglich herausgeschnitten!“

„Wieso wurde das „nicht gendern“ rausgecuttet??“

Unter den Kommentaren finden sich zahlreiche weitere Beiträge, die über das Thema diskutieren. Und obwohl GameStar zu Beginn der Veröffentlichung einige Kommentare beantwortet hat, mutmaßlich zu einem Zeitpunkt, als der gelöschte Teil noch enthalten war, hat die Redaktion ausnahmslos jede Nachfrage zum diesem Thema ignoriert.

Ein Vorgehen, das dem sogenannten GameStar-Kodex widerspricht. Dort heißt es unter dem Punkt „Richtigkeit“:

„Bei sämtlichen Artikeln und Videos auf GameStar.de gilt das Vier-Augen-Prinzip, das heißt die Inhalte werden wann immer möglich von einer zweiten Person überprüft. Sollte uns trotz aller Sorgfalt ein inhaltlicher Fehler unterlaufen, werden wir diesen Fehler schnellstmöglich und transparent korrigieren.“

(Quelle)

Einen Hinweis darauf, warum die GameStar das Video nachträglich änderte, könnte der Punkt „Transparenz“ liefern.

„Meinungen finden bei uns ausschließlich in Fazitkästen und in Form von Kolumnen statt. Unser Ziel ist es nicht, dem Leser oder Zuschauer unsere Meinung aufzudrücken.“

(Quelle)

Ein Redakteur, der in einem Testvideo unabhängig vom eigentlichen Spiel lapidar erzählt, er persönlich würde nicht gendern, passt offenbar nicht in diese Kategorie, wäre aber noch kein Skandal. Wie freimütig ein Journalist hier allerdings rechte Kampfbegriffe nutzt – und nichts anderes ist das Wortgebilde „Gender-Krieg“, das einer Serie durch die beiden Wörter „Gender“ und „Krieg“ schlicht die bösesten aller Absichten zugrunde legt – und wie ohne Transparenzhinweis Inhalte nach der Veröffentlichung verändert werden, all das ist schlicht problematisch. Und das ist noch lieb ausgedrückt.

Auf GameStar.de hat die Redaktion das Video ebenfalls in der nachträglich veränderten Fassung hochgeladen mit einem deutlich merkbaren Schnitt. Auch dort ist kein Hinweis auf den Vorgang zu finden.

Froh können wir dennoch sein, schließlich hat GameStar den wichtigsten Teil des Videos nicht entfernt: die Werbung. 30 Sekunden heißt es da nämlich, vertont vom Tester:

„Dieses Video wird euch präsentiert von Manscaped“

Ein Testvideo über Saints Row, in dem ein GameStar-Journalist gesteht, er würde nicht gendern, bescheinigt einer Serie mit weiblicher Hauptfigur, die nichts mit dem Spiel zu tun hat, nach 19 Minuten der ersten Episode, sie würde „plump“ einen „Gender-Krieg“ auslösen wollen, während dieser Abschnitt später ohne Angabe von Gründen gelöscht und jedwede Nachfrage dazu ignoriert wird, genau dieses Testvideo enthält Werbung für, nun: Männerpflege.

Kannste dir nicht ausdenken.

Vielen Dank an meine Community für die Mithilfe an diesem Text!

2 Kommentare

  1. Lieber Jannick, ich habe deinen Blog erst vor kurzem so richtig entdeckt und dachte schon, ich bin zu spät. 😀 Umso schöner, dass jetzt ein ganz frischer Artikel erschienen ist. Vielen Dank für deine wertvolle Arbeit und die ganze Mühe, die du in die Artikel steckst.

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