Medienkritik

Die riesige Spielwelt von GTA 6: Rekonstruktion einer Quatschmeldung

GTA 6 soll groß werden, berichten mehrere Magazine. So groß, dass die Redaktionen das saubere Arbeiten vergessen haben.

Über 1.300 Wörter und einige Stunden später weiß ich nun: der Impuls, „mal eben kurz“ über GamePro zu schreiben, ist verflixt misslungen.

Die GamePro-Redaktion hat heute folgende News über GTA 6 veröffentlicht:

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Dort heißt es:

GTA 6 könnte vieles anders machen als seine Vorgänger. Die Map besteht vielleicht aus den beliebtesten Teilen der früheren Spielwelten und womöglich bekleiden wir in der Story zum ersten Mal die Rolle einer weiblichen Hauptfigur.

Die Wörter „womöglich“ und „vielleicht“ verraten es: Nichts davon ist offiziell. Genau genommen ist noch überhaupt gar nichts offiziell zu GTA 6. Wer stattfinden möchte, muss aber mehr denn je über vermeintliche Leaks und Spekulationen berichten. Genau darauf basiert die GamePro-Meldung – die Rekonstruktion der Quellen gestaltet sich jedoch als, nun: schwierig.

Die Spekulation um eine weibliche Hauptfigur sei bereits ein „alter Hut“, wie GamePro schreibt. Weiter heißt es: „Dan Houser hat zum Beispiel schon 2013 in einem Interview mit The Guardian erklärt, dass eine weibliche Protagonistin nicht ausgeschlossen sei.“ Nun bezog sich Houser aber nicht explizit auf GTA 6, sondern auf zukünftige Spiele generell, und das im Jahr 2013, als GTA 5 frisch erschienen war und Red Dead Redemption 2 die größte Aufmerksamkeit des Studios erhielt. GamePro zitiert zwar im kommenden Absatz den eher unspezifischen Wortlaut von Houser, bezieht die Aussage dennoch auf GTA 6, wie die Redaktion mit dem Wörtchen „auch“ zeigt:

„Dass eine der Hauptfiguren (oder die einzige Protagonistin) in GTA 6 weiblich sein könnte, wurde auch schon vor über einem Jahr von The Know spekuliert.“

Kurios geht es weiter: Über das am 5. März 2018 von „The Know“ veröffentlichte Video hat GamePro bereits berichtet. Nämlich 2018. Einen Tag später.

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Zusammengefasst: Jener Teil der News, der sich mit einer weiblichen Protagonistin auseinandersetzt, beruht auf Meldungen aus 2013 und 2018, und GamePro hat bereits 2018 darüber geschrieben. Dennoch wärmt die Redaktion diese Gerüchte ohne Angabe von Gründen auf.

Die News ist nicht zu Ende, und vielleicht gibt es doch noch Neues zu lesen. So schreibt die GamePro folgendes über ein Gerücht:

„Kurioses Gerücht aus mysteriöser Quelle: Angeblich soll das Schauspiel-Paar Eva Mendez und Ryan Gosling ganz oben auf Rockstars Liste stehen, wenn es um die mögliche Besetzung der Hauptrollen von GTA 6 geht.“

„Von derartigen Gerüchten berichtet zumindest TechRadar […]“, schreibt die Redaktion weiter und verlinkt bei dem Wort „TechRadar“ nicht auf die TechRadar-Website, sondern: auf das oben erwähnte Interview mit Dan Houser vom Guardian. Es wird noch verwirrender, denn weiter heißt es: „[…] aber die [bei Techradar] verlinkte Yibada-Quelle wurde mittlerweile anscheinend wieder offline genommen.“ Klickt man auf die Yibada-Quelle, gelangt man auf folgende Seite:

yibada-quelle

Also, äh, Zusammenfassung: GamePro berichtet, wie TechRadar über ein Gerücht berichtet, verlinkt aber nicht auf die Seite von TechRadar, sondern auf das bereits zuvor verlinkte Interview mit Dan Houser, und schreibt dann darüber, dass die genannte Quelle in dem nicht verlinkten TechRadar-Text anscheinend gelöscht wurde.

Ist es dann nicht wahrscheinlich, dass das Gerücht kompletter Quatsch war? Egal, denkt sich die Redaktion, die zwar schreibt, dass das Gerücht „nicht gerade überzeugend oder wahrscheinlich“ sei, aber „immer wieder“ hochkomme. Liegt das vielleicht an quatschigen Magazinen wie GamePro, die ein Jahre altes, gelöschtes Gerücht weiterhin verbreiten?

Na gut, die News hat ja noch einen zweiten Teil: GTA 6 könnte alle Maps kombinieren, schreibt die Redaktion. Anlass für diese Meldung ist eine detailreiche Karte, die Fans auf Basis einer Entwickler-Aussage erstellten. GamePro bezieht sich dabei auf Ex-Rockstar-Chef Leslie Benzies: „[…] das Entwicklerstudio wolle die Städte der bisherigen Spiele miteinander kombinieren“, heißt es. Verlinkt wird auf eine Meldung von Dreamteam.com, datiert auf den 19. Februar 2018. Erneut eine Quelle, die über ein Jahr alt ist.

Nun wird es verzwickt.

In der Dreamteam-Meldung steht folgendes:

„Grand Theft Auto 6 may well feature the biggest map in the series, according to a former Rockstar executive.

Ex Rockstar President Leslie Benzies revealed the team would ‘like to have one big world’ containing all the cities in the series – with the player being able to fly between them.

In theory, this would allow players to fly from San Andreas to Vice City – which, if pulled off, would almost certainly see some characters from the other games make a return.“

Das Zitat von Benzies, worauf sich der Text von Dreamteam stützt und dort auch zitiert wird, klingt wie folgt:

„Of course at some point we would like to have one big world containing all our cities and let the player fly between them and revisit their favourite areas“

Eine Quelle für dieses Zitat nennt Dreamteam nicht. Aus gutem Grund, denn der Satz stammt aus einem Interview, das DigitalTrends.com bereits im Dezember 2012 veröffentlichte. Also knapp ein Jahr vor der Veröffentlichung von GTA 5, ich wiederhole: GTA F-Ü-N-F. Dort wird Benzies folgendes gefragt:

Any chance that Vice City might return in a future GTA?“

Benzies Antwort ist der bereits zitierte Satz, auf den sich GamePro und viele andere Magazine nun beziehen:

„Of course at some point we would like to have one big world containing all our cities and let the player fly between them and revisit their favorite areas, and in that context reimagining Vice City would be very interesting.“

Wie gesagt: Das war 2012. GTA 5, der Vorgänger von dem nun erwähnten GTA 6, befand sich noch in Entwicklung. Das darauf folgende Projekt – nein, nicht GTA 6, sondern: Red Dead Redemption 2 wurde erst 2018 veröffentlicht. Soll heißen: Es ist grob irreführend, dieses Zitat auf GTA 6 anzuwenden, denn obgleich es sich auf ein „future GTA“ bezieht, war der sechste Teil zum damaligen Zeitpunkt noch nicht in Entwicklung. Laut – unbestätigten – Gerüchten begann diese ungefähr 2016, obgleich die Planungs- und Konzeptphase sicherlich schon früher begonnen hat.

Was noch schwerer wiegt für die Einschätzung des Zitats: Leslie Benzies hat Rockstar Games Anfang 2016 verlassen. Bereits im September 2014 startete er ein Sabbatical und kehrte nicht mehr zurück ins Tagesgeschäft. Lediglich drei Monate nach Bekanntgabe seines Weggangs verklagte er Rockstar Games auf 150 Millionen Dollar. Ein verärgerter Ex-Chef soll also schon 2012 den Schauplatz von GTA 6 kennen, obwohl er vermutlich keine Sekunde an dem Spiel gearbeitet hat. Selbst wenn es diesen Plan damals gegeben hat, ist Benzies vermutlich der Letzte, der etwas über den aktuellen Stand von GTA 6 weiß, und deshalb ist es dreist, dass Magazine wie GamePro nun so tun, als würde diese Aussage eine irgendwie geartete, aktuelle Legitimität für GTA 6 besitzen.

Solche News kommen zustande, wenn Redaktionen eine viral gegangene, meist englischsprachige Meldung lesen, aber nicht die Quellen überprüfen. Wenn Dreamteam.com das so schreibt, muss es wohl richtig sein, scheint der Tenor zu lauten:

„Grand Theft Auto 6 may well feature the biggest map in the series, according to a former Rockstar executive.“

Kurz zusammengefasst: GamePro schreibt über die Karte von GTA 6, die die Städte der bisherigen GTA-Spiele kombinieren soll und bezieht sich dabei auf eine Meldung vom 19. Februar 2018 von Dreamteam.com, dort allerdings ist keine Quelle für das entscheidende Zitat vorhanden, eben weil das Zitat aus dem Jahr 2012 stammt, sich nicht explizit auf GTA 6 bezog und das Spiel zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich nicht mal in der Planungsphase war. Zudem wird weder von Dreamteam noch von GamePro erwähnt, dass Benzies das Unternehmen mittlerweile verlassen und darüberhinaus sogar verklagt hat.

Der verdammte Witz ist: GamePro hat über das 2012 stattgefundene Interview bereits berichtet. Nämlich 2012. Ein Tag nach Veröffentlichung.

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Auch andere Magazine berichten über die vermeintliche Neuigkeit einer riesigen Map von GTA 6. Playcentral etwa schreibt:

Schon vor einer ganzen Weile hat der Ex-Rockstar-Präsident Leslie Benzies gegenüber DreamTeam angedeutet, dass ein Grand Theft Auto 6 möglicherweise alle Orte der bisherigen Spiele kombinieren könnte.

Das ist falsch. Weder äußerte sich Benzies gegenüber DreamTeam, noch bezog sich die bei TechRadar getätigte Aussage auf GTA 6. Dass Benzies seit 2014 an keinem Projekt von Rockstar mitgewirkt hat, erwähnt Playcentral natürlich nicht.

Das alles, die fehlende Recherche, das Wiederkäuen alter Nachrichten, das Veröffentlichen von Gerüchten und Spekulationen als potenzielle Wahrheiten, das ständige Betonen, dass es sich als falsch herausstellen könnte, aber dennoch in Clickbait-Überschriften für zutreffend verkauft wird, das alles ist nicht neu oder überraschend, in diesem Fall wohl aber besonders absurd.

Es folgen einige weitere News-Beispiele von GamePro zu GTA 5 und einem weiteren, prominenten Spiel: Cyberpunk 2077.

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falschmeldung2

falschmeldung3

Keine der News war richtig.

Jedem noch so unbekannten Analyst, jeder kleinsten Behauptung von Insider XY, jedem anonymen Eintrag bei Reddit wird eine schier lächerliche Aufmerksamkeit zuteil; aufbereitet und verschönert für Facebook-Einträge und möglichst viel Interaktion.

Wo das Interesse der Redaktionen an diesen News endet, erkennt man rasch an der Qualität eben jener: die Einordnung oder die Überprüfung der Gerüchte ist allzu häufig kein Teil der Arbeitsabläufe. Es wird schlicht gesichtet, übersetzt und aufgeschrieben.

Und das wäre noch der beste Fall: das bloße Wiedergeben aktueller Gerüchte. Das heutige Beispiel von GTA 6 beweist, dass es deutlich schlimmer kommen kann.

1 Kommentar

  1. Offenbar haben sich das eine oder andere Gamesmagazin wie die GamePro Methoden diverser Frauenzeitschiften für ihre Berichterstattung angeeignet. Denen ist auch nichts zu schade mit falschen und frei erfundenen Clickbaitüberschriften und Stories Leser zu ködern.
    Das ist noch nicht mal Stümperei aus Unwissenheit sondern Kalkül. Die wissen ganz genau was sie wie schreiben.

    Man dürfte schon sehr viel Verachtung für seine Leser entgegenbringen diese derart abzuspeisen und gleichzeitig auf kritisches Feedback dazu mit Ignoranz zu begegnen.

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