Medienkritik

Wie ein ehemaliger PR-Manager von Rockstar ein Rockstar-Spiel lobt – als GameStar-Redakteur

„Wir helfen euch, das Beste aus eurem Lieblingshobby zu holen – redaktionell unabhängig und mit hohem journalistischen Qualitätsanspruch.“ – aus dem GameStar-Kodex

Wie unabhängig kann Journalismus sein, wenn ein ehemaliger PR-Manager von Rockstar eine 20-minütige Huldigung eines Rockstar-Spiels veröffentlicht? Eine Frage, von der man dachte, sie müsste nie gestellt werden. Doch die GameStar-Redaktion beweist das Gegenteil.

Von vorne: Am 4. Juni veröffentlichte GameStar auf YouTube folgendes Video:

youtube-reddead

Schnell wird deutlich: Es handelt sich um eine Kooperation mit Microsoft für den „Microsoft Game Pass“, der mehrere Minuten im Video beworben wird und derzeit das Spiel Red Dead Redemption 2 enthält. Der Rest des Videos widmet sich sehr ausführlich der „Open World Revolution“ und stammt von der Redaktion selbst, wie es im Video heißt:

„Redaktion: Julius Busch“

Und das ist ein Problem: Julius Busch war einst Mitarbeiter bei Rockstar.

Bevor er bei Rockstar Deutschland in der PR-Abteilung begann, arbeitete er bei GameStar – und kehrte im September 2019 schließlich zurück. (Ein nahezu normaler Vorgang in der Spieleindustrie – leider.) Im Video wird das ebenfalls erwähnt, nicht aber in einem übergroßen Disclaimer zu Beginn des Videos, sondern in der Funktion des Insiders, als er das Fehlen einiger komfortabler Features im Spiel rechtfertigt:

„Einige wissen es vielleicht: Ich hab ja einige Zeit im deutschen Büro von Rockstar gearbeitet. Ich war dort zwar nicht direkt an der Entwicklung von Red Dead Redemption 2 beteiligt, hab aber natürlich mitbekommen, wie viel Energie in diese zufälligen Begegnungen [in der Spielwelt] geflossen ist und wie verschachtelt die Auswirkungen davon manchmal sind.“

Um das besser zu verstehen, ein kurzer Versuch der Anordnung:

  • GameStar geht eine Kooperation mit Microsoft ein. Beworben wird der „Microsoft Game Pass“, der aktuell Red Dead Redemption 2 enthält.
  • In einem kurzen Abschnitt des Videos wird der „Game Pass“ beworben, abgetrennt vom redaktionellen Inhalt.
  • Der redaktionelle Inhalt stammt von Julius Busch, einem ehemaligen PR-Manager von Rockstar.
  • Im gesamten Video wird Rockstars Red Dead Redemption 2 von einem ehemaligen PR-Manager von Rockstar über den Klee gelobt. Kritik gibt es kaum.

Vieles, eigentlich alles daran ist absurd. Zum Beispiel: Warum darf ein ehemaliger PR-Manager eines Spieleherstellers so unverblümt zur ultimativen Lobeshymne ansetzen in einem Video, das von einer vermeintlich unabhängigen Redaktion stammt? Wie kann eine Chefredaktion das durchwinken?


Fragen, die zumindest teilweise beantwortet werden – mit Antworten, die ein bisschen fassungslos machen. Der Twitter-Nutzer „@hype_me_not“ twitterte am 5. Juni über den Vorfall und beschrieb, wie ein ehemaliger Rockstar-Mitarbeiter in einem GameStar-Video ein „Loblied“ über ein Rockstar-Spiel verfasst hat.

Eine Antwort erhält er von Rene Heuser, „Director Gaming“ bei Webedia Deutschland. So heißt es in dem Tweet unter anderem:

„Er [Julius Busch] war bereits vor seinem Wechsel zu Rockstar Games (als PR Manager) sehr tief mit den GTA- und RDR-Spielen vertraut und hat auch seine Begeisterung als auch Kritik immer offen geäußert.“

Was Heuser nicht erwähnt: Das Video enthält keine Kritik. Jede Erwähnung vermeintlicher Schwächen, etwa das Fehlen der Schnellreise-Funktion, wird ins Positive gedreht. Alles habe seine Daseinsberechtigung und unterscheide das Spiel somit von nicht so großartigen Spielen wie etwa Assassin’s Creed: Odyssey.

Weiter heißt es in dem Statement:

„Das von Dir angesprochene Video ist im Rahmen unserer Werbe-Kooperation für den Xbox Games Pass entstanden (siehe Kennzeichnung im Video und Beschreibung). Weder Rockstar noch Microsoft haben Vorgaben über das ausgewählte Spiel oder den redaktionellen Inhalt im Video getätigt. Die inhaltliche Gestaltung oblag komplett dem Video-Team, was Julius als besten Experten für den Titel ansieht.“

Nun mag der betreffende Redakteur ein Experte sein, und das mag er im Video auch kompetent dargelegt haben, nur ist er eben nicht nur ein Experte, sondern ein ehemaliger PR-Manager von Rockstar, dessen beruflicher Alltag die Lobhudelei für Rockstar-Spiele enthielt – kurz: er ist befangen. Er kann nicht unabhängig berichten. Seine Funktion als Journalist wird durch seinen alten Job untergraben, zumindest dann, wenn der ehemalige PR-Manager die Spiele des ehemaligen Arbeitgebers 20 Minuten hochleben lässt – im Rahmen der journalistischen Arbeit der GameStar.

Somit macht es das Statement nur noch schlimmer: Im Bewusstsein, einen vermeintlich unabhängigen Beitrag über Red Dead Redemption 2 zu produzieren, ohne jegliche Vorgaben seitens Hersteller und Werbepartner, sucht sich die GameStar-Redaktion ausgerechnet den ehemaligen PR-Manager des Herstellers aus. Journalistische Richtlinien missachtend, wird ein Interessenkonflikt bewusst ignoriert, mehr noch: er wird herbeigeführt.

Weiter schreibt Heuser über die Beliebtheit von Red Dead Redemption 2, über den Metascore von 97 Prozent, den Wertungen von GameStar und GamePro (beide sehr hoch) und die vielen Preise, die das Western-Spiel gewonnen hat. Und:

„Das Video ist also kein unreflektiertes Loblied. Julius geht sogar direkt am Anfang im Video darauf ein.“

Und doch ist und bleibt das Video ein Loblied, das zwar vermeintliche Beschwerden von Spielerinnen und Spielern erwähnt, diese aber lediglich zum Anlass nimmt, jede Beschwerde ins Positive zu rücken. Ja, der Einstieg von Red Dead Redemption 2 mag langsam sein, heißt es im Video, aber es sei ein guter Einstieg; ja, vieles im Spiel kann sich beschwerlich anfühlen, aber das habe alles seinen Sinn, dadurch bleibe „die Spielerfahrung stärker in Erinnerung“; ja, das „Storytelling“ funktioniere anders als in üblichen Genre-Vertretern, aber genau das ist ja die Stärke der Geschichte.

Im Statement schreibt Heuser weiter:

„Das Video hat keinen aktuellen Anlass, sondern geht grundsätzlich auf die Bedeutung und Stellenwert des Spiels ein.“

Wäre dies tatsächlich der Fall, also nehmen wir an, dieses Video ist auf Basis unabhängiger, redaktioneller Arbeit und Recherche entstanden, wieso fehlt dann jedweder Hinweis auf die brutalen Arbeitsbedingungen bei Rockstar Games, die die Entwicklung des Spiels begleitet haben?

Der US-Journalist Jason Schreier hat in einem umfassenden Report beschrieben, wie Mitarbeiter*innen abends und am Wochenende arbeiten sollten, wie Überstunden das soziale Leben der Entwickler*innen einschränkten und 80-Stunden-Wochen bei einigen Teams vermeintlich nötig waren.

All das ist Teil der Bedeutung von Red Dead Redemption 2 und Rockstar Games. Wenn also die Grundsätzlichkeit eines Spiels unabhängig und redaktionell in einem Video erfasst werden will, darf nicht nur Lob Teil davon sein. Fehlt die Kritik an einem Spiel und fehlt der Hinweis auf die Fragwürdigkeiten des Herstellers ausgerechnet in einem Video, das ein ehemaliger PR-Manager des Herstellers verantwortet hat, sollte die Unabhängigkeit der Redaktion in Zweifel gezogen werden.

Der Versuch der Rechtfertigung verschlimmert die Situation nur noch. Abschließend schreibt Heuser in seinem Statement nämlich:

„Das Video ist (siehe Thumbnail, als auch inhaltlich) als eine Meinungsäußerung von Julius zu sehen und zu verstehen.“

Ein Satz zuvor betont Heuser noch, das Video gehe grundsätzlich auf die Bedeutung des Spiels ein, doch nun sei es eine Meinungsäußerung. Beides geht nicht. Die Grundsätzlichkeit und der Stellenwert von Red Dead Redemption 2 definiert eben nicht ein ehemaliger PR-Manager von Rockstar. Die Realität ist viel komplexer und ausgewogener, sprich: kritischer als das Video.


Der gesamte Vorgang ist ein Desaster. Klar, jeder Punkt im Video mag kompetent und seriös formuliert sein, es muss nicht mal zwingend eine Absicht vorliegen, in der ein ehemaliger PR-Manager seinen alten Arbeitgeber nur der Werbung wegen lobt; die Begeisterung kann aufrichtig sein, jeglicher Hintergedanke kann fehlen, wie auch diverse Tweets nahelegen.

Und doch wird die Unabhängigkeit der GameStar untergraben, die wiederholt in Podcasts, Videos und Artikeln so vehement beteuert wird. Eine journalistische Denkweise, ja nur die kleinste Ahnung davon hätte das Video in der Form verhindern müssen.

Das Gegenteil ist passiert: Die größte spielejournalistische Redaktion Deutschlands nahm den Interessenkonflikt bewusst in Kauf.


Wichtige Links:

Danke auch für den Hinweis auf den Vorgang, den ich auf Twitter per DM erhielt!

 

3 Kommentare

  1. Bin eben durch das Video gangen (frage mich ernsthaft warum) und finde es erstaublich, wie man Spielemechaniken und Entwicklungen der letzten 20 Jahre so beiläufig missachten kann um RDR2 größer und neuer darstehen zu lassen, als es in vielen der aufgeführten Punkten ist.
    Zu allererst der direkte Vergleich mit Spielen aus der 16bit Ära und ihren Limitationen ggü. Open World Spielen mit heutiger Technik. Ja, kann man machen aber wenn man dann nicht auf Spiele des selben Genre der letzten Jahre explizieter eingeht (BOTW, Witcher 3, Pillars of Eternity, Fallout-Reihe) dann hat das, so wie sich das ganze Video anhörte, seinen Grund.
    Als der Kerl dann zu den Interaktionen und Sidequests ankam und dort die Mühen erwähnt, den die Entwickler aufbrachten um dies so toll hinzubekommen, hätte man über die Horror-Stories von den Devs und QAlern reden können, was er nicht tat. Erst da redete er über seinen PR Tätigkeit und brach auch das relativ schnell ab um dann wieder über das Weltendesign zu reden. Sehr komisch.
    Das nächste waren NPCs und non-lineare Interaktionen mit denen… Joa RDR2 hat dies wohl in einem Umfang wie kein anderes Spiel und dazu noch alle vertont, aber die Idee an sich ist nicht neu. Kenne so was von etlichen West RPGs seit vielen Jahren. Auch von (ehemaligen) Indie-Studios wie Obsidian.
    Und dass man nicht auf das Quest-Design eingeht, welches eben nicht – wie in einer Open World sinnvoll – Systemic ist (siehe dazu am besten das GMTK Video von Marc Brown) ist schwach. Auf so was muss man eingehen, da es ein elementarer Bestandteil des Spieles ist und was AssCreed und BOTW sehr gut können. Kreative, andere Lösungswege finden für Quests und somit die Interaktion erhöhen und die Wegfindungsmöglichkeiten zu erweitern.

    Allgemein, aufgrund der von dir aufgeführten Hintergründe ein problematisches Video (alleine dass es normal zu sein scheint, als Redakteur mit „redaktionell unabhängig und mit hohem journalistischen Qualitätsanspruch“ Werbung zu machen) sondern auch weil vieles sich nach 16-jähriger Fan in einem Videospielforum anhörte.
    Jedes Spiel hat negative Punkte, egal wie geil amn es findet. Irgendwo gibt es immer Downtime, egal wie sehr dies vllt. vom Entwickler gewollt war und so was gehört dann auch in so einem Video aufgeführt.

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  2. Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag. Wenn Spieletester als Journalisten bezeichnet werden, wundert es wenig, dass dieser Bereich sich nur langsam professionalisiert. Es wirkt auf mich oft, als bestünde die Spielejournalistenlandschaft aus Studienabbrechern. Nichts gegen Abbrecher, aber „echten“ Journalisten nimmt man damit meiner Meinung nach etwas weg.

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  3. naaaaaja, kann man so sehen, muss man aber nicht 😉 für mich nur die Meinung eines random guy im Internet (und ehemaligen Spieleredakteur, der nun aus irgendeinem Grund mit der Branche abrechnet)

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