Medienkritik

GameStars Verantwortung reicht nicht mal für drei Monate

Es war nicht weniger als ein Paukenschlag: Nach den Berichten über Diskriminierung und Sexismus bei Activision Blizzard reagierte der GameStar-Chefredakteur mit einer Kolumne, in der er versprach, in kommenden Testberichten über etwaige Arbeitsbedingungen zu informieren, sofern Details darüber bekannt sein sollten. Und tatsächlich, nur kurze Zeit später findet sich im Testbericht zum Diablo-Remake folgender Hinweis:

„Der Publisher von Diablo 2: Resurrected, Activision Blizzard, sieht sich aktuell einer Klage wegen Sexismus und ungleicher Behandlung von weiblichen Mitarbeitern ausgesetzt. Falls die Missstände für eure Kaufentscheidung eine Rolle spielen, haben wir für euch alle Infos zur Sexismus-Klage in einem ausführlichen Artikel zusammengefasst.“

(Quelle)

Offenbar ist es der GameStar-Chefredaktion tatsächlich wichtig, Themen wie Crunch oder Belästigung in einem vielbeachteten Artikelformat konsequent abzubilden.

Ja, das war ein Witz. Es hat sich nämlich nicht so viel geändert.


Zur Erinnerung: Mit großen Worten und noch größeren Versprechungen äußerte sich der GameStar-Chefredakteur am 26. Juli unter anderem so:

„Die erschütternden Vorfälle beim WoW-Entwickler zeigen für Heiko, dass die Games-Branche endlich Verantwortung übernehmen und sich ändern muss. Das gilt für Blizzard genauso wie für GameStar.“

(Quelle)

Es gab Inhalte bei GameStar, für die sich der Chefredakteur heute schäme, es damals aber nicht tat. Und weiter heißt es:

„Ganz konkret werden wir ab sofort bei sämtlichen Testartikeln einen Informationskasten einbauen, sollte es Berichte über problematische Ereignisse im Zuge der Entwicklung geben wie Crunch oder Diskriminierung. Wir wissen, dass dies inzwischen für viele von euch relevante Informationen für eine Kaufentscheidung sind.“

Eine erfreuliche Entwicklung, bedenkt man, wie das Thema Arbeitsbedingungen jahrzehntelang weitestgehend ignoriert wurde. Von „GameStars Verantwortung“ wird in der Kolumne gesprochen, über Artikel, die für „alle“, also „[u]nabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung oder Hautfarbe“ veröffentlicht werden. Man positioniere sich gegen Hass und Diskriminierung, heißt es, und man wolle mehr „Aufmerksamkeit für Frauen in der Games-Branche“ schaffen. Ein Rundumschlag sozusagen, alles einmal mitgenommen: Einsatz gegen Hass, Förderung von Frauen als Thema von Berichterstattung, vermeintlich kritische Reflexion über die alten Babes-Duell-Tage, unternehmerische Verantwortung. Guter, wichtiger, überfälliger Text, sollte man meinen.

Doch wer die Kolumnen und Texte der GameStar-Chefredaktion über den eigenen Journalismus kennt, weiß bereits, wie ernst man es damit meint.


Am 6. Oktober veröffentlichte GameStar den Testbericht zu Far Cry 6. Er enthält mehr als 3.800 Wörter über Story, Waffen, Missionen, Performance, Bugs, Open World und Hahnenkämpfe. Worüber verliert die Redaktion kein Wort?

Richtig, die Berichte über sexuelle Belästigungen und Diskriminierungen bei Ubisoft Toronto, das federführende Studio hinter Far Cry 6. Unter anderem der US-Journalist Jason Schreier berichtete 2020 detailliert über die Vorwürfe, ebenso französische Medien. Dabei geht es auch um den Vorwurf, die Chefetage von Ubisoft habe die Täter jahrelang gedeckt und die Taten ignoriert.

Fast 4.000 Wörter enthält der Test zu Far Cry 6, verteilt auf fünf Seiten – und trotzdem scheint kein Platz zu sein für die Vorwürfe gegen Ubisoft.

Dabei waren die Worte des Chefredakteurs eindeutig:

„Ganz konkret werden wir ab sofort bei sämtlichen Testartikeln einen Informationskasten einbauen, sollte es Berichte über problematische Ereignisse im Zuge der Entwicklung geben wie Crunch oder Diskriminierung.“

Die Berichte über Ubisoft wurden 2020 veröffentlicht. Zu dem Zeitpunkt dürfte Far Cry 6 bei Ubisoft Toronto bereits vier Jahre in Entwicklung gewesen sein, wie Eurogamer im Juli 2020 schrieb.

„While it has only been two years since the US-set Far Cry 5, and just a year since spin-off New Dawn, Ubisoft said that Far Cry 6 has already been in development for 4 years, with its Toronto studio taking the lead.“

(Quelle)

Viele der Situationen, beschrieben in zahlreichen Artikeln, dürften sich demnach bei der Entwicklung von Far Cry 6 ereignet haben. Sicher ist das nicht, aber wahrscheinlich, bedenkt man zudem, welche Personen das Studio in Toronto bereits verlassen mussten, unter anderem Teile der Studioleitung.

Warum all das im Test fehlt, bleibt fraglich – und unverständlich, da die Redaktion eigentlich weiß, wie es besser geht. In einem Interview mit einem Entwickler von Ubisoft fragt der Redakteur konkret nach einem Statement zum Skandal. Die Antwort fällt betont vage aus, wenig überraschend versucht Ubisoft, dem Thema aus dem Weg zu gehen, und leider wird die Frage aus dem eigentlichen Interview ausgeklammert und nicht weiter nachgefragt. Aber es ist ein Anfang. Ein Anfang, der eine Informationsbeschaffung fördert, da GameStar weitere News verlinkt hat.

Nichts davon wird im Testbericht erwähnt. Nirgends.


Auch ein weiterer Test eines Ubisoft-Spiels müsste nach den Versprechen des GameStar-Chefredakteurs einen Informationskasten enthalten: Assassin’s Creed Valhalla: Die Belagerung von Paris. Der Testbericht des DLCs erschien am 11. August, also über zwei Wochen nach der Kolumne des Chefredakteurs.

Laut einer philippinischen Gamingsite entwickelte Ubisoft Singapur federführend die Erweiterung zusammen mit einem philippinischen Team. In einem Fandom-Wiki ist Ubisoft Toronto angegeben. So oder so: Gegen beide Studios wurden bereits 2020 mehrere Vorwürfe laut, gegen Ubisoft Singapur gab es im Juli 2021 weitere Anschuldigungen.

Ob es sich dabei „nur“ um eine Erweiterung handelt, macht keinen großen Unterschied, da sowohl Ubisoft Toronto als auch Singapur mehrfach als toxischer Arbeitsplatz beschrieben wurde und über den DLC mittels Testbericht berichtet wird.


Ein anderer Test fällt ebenfalls negativ auf. Im siebenseitigen (!) Test zu Amazons New World haben sich die beiden Redaktionsmitglieder über alles mögliche die Finger wund getippt. Aber die Arbeitsbedingungen? Werden wieder ausgeblendet.

Dabei haben Jason Schreier und Priya Anand von Bloomberg ebenfalls über die Bedingungen bei Amazons Spielestudio geschrieben. Unter anderem das:

„One aspect of working at Amazon felt similar to traditional game companies. The studios cultivated a “bro culture” in which women often weren’t given the same opportunities as men, former employees say. Four female game developers say their worst experiences of sexism in the industry were at Amazon.“

(Quelle)

Zum Launch des Spiels äußerte sich Schreier erneut auf Twitter zu Wort.

„Unfortunately, reporters often hear stories that they can’t share because doing so might identify a source or otherwise cause harm. But it’s no small thing that four women who had worked at a lot of other game companies all said their worst experiences with sexism were at Amazon“

(Quelle)

Die eigentliche Reportage zeichnet zwar kein so übles Bild wie bei Ubisoft, lässt aber Ähnlichkeiten erkennen, die – ähnlich wie bei Riot Games – eine „bro culture“ aufzeigen, in der Frauen nicht die gleichen Chancen haben wie Männer. Soll heißen: Teilweise sind auch bei den Amazon Game Studios die Arbeitsbedingungen alles andere als gut.

Zur Erinnerung die Worte des Chefredakteurs:

„Ganz konkret werden wir ab sofort bei sämtlichen Testartikeln einen Informationskasten einbauen, sollte es Berichte über problematische Ereignisse im Zuge der Entwicklung geben wie Crunch oder Diskriminierung.“

Es ist egal, ob nur vier, 40 oder 400 Frauen von Sexismus oder Diskriminierung sprechen; es hat Berichte über Probleme gegeben, also sollte nach der Logik des Chefredakteurs ein „Informationskasten“ im Test zu New World auftauchen. Doch das ist nicht der Fall.

Allen vermeintlich wichtigen Punkten hat sich der Test gewidmet: Grafik, Gameplay, Story, PvP, Housing, Technik, Performance, Bugs, Warteschlagen, Raids. Ausgerechnet die Berichte über Sexismus bei den Amazon Game Studios werden ignoriert, nicht mal kurz verlinkt.


Oder anders formuliert: Die groß angekündigte Initiative für transparentere Testartikel, selbstständig in Verbindung gebracht mit dem GameStar eigenen Engagement gegen Diskriminierung und Hass im Netz – ist verpufft. Nach nicht mal drei Monaten.

Sicher sind viele der Vorwürfe gegen einzelne Studios gerichtet und nicht detailliert mit Datum angegeben. Das liegt in der Natur der Sache solcher Berichte, die manchmal Jahre, oft Monate und teilweise eben nur Situationen in einzelnen Teams und Abteilungen wiedergeben. Klar aber ist: Diskriminierung und Sexismus hat es laut mehreren Berichten sowohl bei Ubisoft als auch Amazon gegeben. Zuverlässige, vertrauenswürdige Journalist*innen haben dies aufgedeckt.

Ausgerechnet das GameStar-Schwestermagazin GamePro zeigt einen richtigen Ansatz. Hat die Redaktion bei einer Vorschau zu Far Cry 6 noch jeden Vorwurf gegenüber Ubisoft ignoriert und sogar dem Unternehmen bei der Öffentlichkeitsarbeit geholfen, sieht der Testbericht gänzlich anders aus. In einem großen Kasten zu Beginn des Artikels heißt es unter dem Punkt „Vorwürfe gegen Ubisoft“:

„Im Rahmen dieses Tests wollen wir darauf hinweisen, dass Ubisoft seit 2020 stark wegen Sexismus, Belästigung und Diskriminierung am Arbeitsplatz in der Kritik steht. Das Unternehmen arbeitet seitdem an Verbesserungen, jedoch ist auch Far Cry 6 unter diesen Arbeitsbedingungen entstanden.“

(Quelle)

Zwei weitere Texte zum Thema werden danach verlinkt.

GamePro zeigt, wie Leserinnen und Leser über problematische Arbeitsbedingungen aufgeklärt werden können. Unkompliziert, direkt, auffällig. International ist es Polygon, das am Ende des Textes ausführlich auf das Thema eingeht. In einem Kommentar von Kotaku, passend zum Release von Far Cry 6, heißt es unter anderem:

„Ubisoft’s treatment of its developers is inseparable from the company’s creative output. It says it’s meaningfully improved on the former, though hundreds of current and former employees dispute that.“

(Quelle)

Es ist gar nicht so schwer, auf Missstände bei Arbeitsbedingungen in der Videospielbranche hinzuweisen – wenn man es denn möchte.

GameStar, das weiß man nun, möchte das offenbar nicht. Für mehr als wortreiche Lippenbekenntnisse reicht es nicht. Wie so oft.

Update, 11. Oktober 2021:

Nach der Veröffentlichung meines Artikels hat GameStar in allen drei Testberichten einen Hinweis eingefügt, der auf Berichte über die Arbeitsbedingungen verlinkt. In keinem der Texte scheint die Redaktion deutlich gemacht zu haben, dass sie die Informationskästen nachträglich hinzugefügt haben.

3 Kommentare

  1. Mich wundert bei „Stümperstar“ inzwischen fast nichts mehr, außer dass neben ihrer oberflächlichen redaktionellen Hanswursterei, inzwischen auch noch eine gewisse hinterhältige und schäbige Schmierigkeit hinzugekommen ist.
    Artikel ohne Kennzeichnung inhaltlich zu ändern bzw zu berichtigen gehört schon seit längerem mit dazu. Das kommt nicht überraschend. Der Gamestar Redaktion fehlt imho jedes Gespür für „jornalistische“ Verantwortung.
    Ach, von wegen „Journalisten; das sind mMn schlicht Trottel die gerne über ihr Hobby auf niedrigem intellektuellen Niveau schreiben.
    Auf der anderen Seite beneide ich sie wiederum, wie man trotz so geringer Kompetenz, Intellekt und ausbleibender Profession noch Geld verdienen kann, um sich eine Miete wie zb in München leisten zu können.

    Als Casual Besucher mag das nicht unmittelbar auffallen, doch wenn man frequenter die Seite besucht, setzt sich deren „Spirit“ wie Schimmel durch deren meisten Artikel.

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      1. Danke fürs Feedback.
        Werde ich wohl zukünftig beherzigen, auch wenn es nichts daran ändert was ich von deren Redaktion halte, und mich bei den ohnehin sehr seltenen Besuchen der Seite immer wieder aufs neue bestätigt.

        Schöne Zeit noch. 🙂

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