Medienkritik

Wie Spielejournalismus ohne Journalismus funktioniert, Thema heute: Leaks

Jemand hat Quatsch ins Internet geschrieben. Das ist nichts Neues, betrifft diesmal aber einige Spieleredaktionen, die einen Fake selbst dann nicht erkennen wollen, wenn alles darauf hindeutet.

Von vorne: Vor einigen Tagen haben verschiedene Magazine über einen vermeintlichen Leak berichtet. Thema: The Elder Scrolls 6 und Starfield von Bethesda.

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(GamePro.de)

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(PCGames.de)

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(Futurezone.de)

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(Quatschbild.de)

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(PCGames.de)

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(GamePro.de)

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(Playcentral.de)

Es gibt da nur ein Problem: alles Fake. Von vorn bis hinten. Erstunken und erlogen. Déjà-fucking-vu.

Im Takt einer tickenden Uhr scheinen neue Leaks und Gerüchte aufzuploppen. Für Redaktionen kann es schwer sein, sie einzuordnen. Für den aktuellen Fall gilt das nicht. Es war offensichtlich.

Der vermeintliche Leaker postete seine Infos bei Reddit. Der neu erstellte Account lautete: „ToddIsMyMom“. Das ist eine Anspielung auf einen Chef-Entwickler bei Bethesda namens Todd Howard. Bereits hier sollte klar sein: Das ist nix, das alles, gar nix ist das. Ein Account, der zuvor keinen bestätigten Leak verraten hat, ist ohnehin immer unsicher und selten vertrauenswürdig. Wenn dieser Account dann noch einen offensichtlichen Scherznamen trägt, sollten die Alarmglocken nicht nur läuten – sie sollten bersten.

Der zweite Punkt, der den Fake klar als solchen kennzeichnete: das Veröffentlichungsdatum. Der Leaker gab an, The Elder Scrolls 6 werde spätestens 2025 erscheinen. Ob das realistisch erscheint oder nicht, ist zunächst irrelevant; es passt allerdings nicht zu den Infos, die der Leaker verraten hat. Sie gehen viel zu sehr ins Detail, beschreiben teilweise präzise einzelne Spielmechaniken. In der frühen Entwicklung eines Spiels stehen solche Details aber oft noch gar nicht fest.

Die umfassende Beschreibung der Gilden etwa lässt erahnen, dass es sich um bloßes Wunschdenken handelt. Gleiches gilt für die Details über das Craftingsystem, das der vermeintliche Leaker sehr genau zu beschreiben vermochte. Bedenkt man, dass sich die Entwicklung von The Elder Scrolls 6 nach der Enthüllung des ersten Teasers 2018 lediglich in der Konzeptphase befand, ist es unwahrscheinlich, dass diese Spielmechaniken bereits so weit entwickelt sind.

Ein weiterer Punkt ergibt sich aus einem kleinen Zusatz bei dem Thema Downloadcontent. So heißt es in dem Leak:

„DLC hasn’t been planned yet, because it’s usually based off of ideas individuals have after the game is complete“

Das ist unrealistisch. Das Magazin Gamerant kommentiert dies so:

„DLC is almost always planned in advance of any game’s main release, especially DLC for such an expansive and ambitious game like Skyrim“

Ebenfalls auffällig sind die im Leak genannten Namen von Bethesda-Entwickler*innen. Der Leaker gibt an, er oder sie arbeite eng mit Bethesda zusammen. Um das zu beweisen, erwähnt er oder sie immer wieder verschiedene Namen bei entsprechenden Details. Das ist äußert ungewöhnlich. Gamerant kommentiert dies so:

„Even if that were true, nobody would use their fellow colleagues‘ names like citations in a high school essay as proof of credibility.“


Einige Tage nach dem Leak gibt der vermeintliche Informant zu, er habe sich das alles ausgedacht, weil die Community „tot“ sei. Und weiter:

„So I made the “leak” to have fun.“

Und dabei führt er eine gesamte Branche vor, die unkritisch darüber berichtete. Allen voran die GamePro-Redaktion, die an anderer Stelle – etwa bei Next-Gen-News – betont, sie würden Leaks vernünftig einordnen. Das geschah in diesem Fall nicht. Am Ende der News hieß es lediglich:

„Der Account wurde nur für diese Gerüchte erstellt, weshalb nicht klar ist, wer wirklich dahinter steckt und ob an den Gerüchten etwas dran ist.“

Das ist keine Einordnung. Schon gar nicht dann, wenn man zuvor penibel alle vermeintlichen Infos übersetzt und aufgeschrieben hat. Die Redaktion kommentiert weder den Detailgrad der vermeintlichen Infos noch die unrealistischen und ungewöhnlichen Eingebungen zum Thema DLC und den Bethesda-Mitarbeiter*innen.

Zumal GamePro danach noch weiter flunkert. Der letzte Satz der News lautet:

„Erst vor kurzem wurde bekannt, dass The Elder Scrolls 6 sich jetzt in die nächste, wichtige Phase der Entwicklung begeben wird.“

Das ist falsch. Die News, auf die sich GamePro bezieht, handelt von Stellenausschreibungen für das Entwicklerstudio. Demnach sollen diese Ausschreibungen den aktuellen Status von The Elder Scrolls 6 verraten. Doof nur: mit keiner Silbe bezieht sich Bethesda in der Stellenanzeige auf The Elder Scrolls 6. Es wird einfach gar kein Spiel genannt. Es könnte auch Fallout 5 oder Starfield gemeint sein.

In der entsprechenden News schreibt das GamePro zwar. Doch in der aktuellen News zu The Elder Scrolls 6 ist diese „Einordnung“ nicht zu finden. Die unbestätigte, nicht nachvollziehbare Behauptung, es würde bekannt sein, dass sich The Elder Scrolls 6 in die nächste Phase der Entwicklung begibt, dürfte so nie formuliert werden. Weil es schlicht nicht offiziell bekannt ist.

Auch andere Magazine wie PC Games ordneten den Leak nicht genug ein. Sie alle übersetzen haargenau die Infos, bauschen sie in drei, vier Absätzen auf, um an Ende kleinlaut zu schreiben:

„Allerdings sollte dieser Leak mit viel Vorsicht genossen werden.“

Das Problem an dieser Aussage ist nicht nur die Kürze, sondern das fehlende „Warum“. PC Games erklärt nicht, warum ausgerechnet dieser Leak falsch sein soll, dabei sollte eine Einordnung über den mit Vorsicht genießenden Satz hinausgehen; es müsste erklärt werden, warum zum Beispiel die Fülle der Details den Leak entlarven.

Dreist hingegen wird es bei Computer-BILD Spiele. Sucht man bei Google nach The Elder Scrolls 6, findet man folgendes:

computerbild-google

Die Headline: „Bethesda äußert sich zu Release“ ist eine Lüge. Schließlich äußert sich eben nicht Bethesda zu dem Thema Release, sondern ein anonymer Reddit-User. Das ist ein Unterschied, den die BILD für eine Google-Headline offenbar ignoriert.


Verrückt wird es auch bei GIGA Games. Dort berichtete die Redaktion ebenfalls über den Fake-Leak. Bevor sie im Detail die vermeintlichen Infos auflisten, kommentiert die Redakteurin den Leak so:

„Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass folgenden Informationen völlig frei erfunden sein können – bildet euch euer Urteil selbst.“

Ja, das steht da so. Im Wortlaut.

Man weiß erstmal nicht, wie man reagieren soll. Nun geht man ja eigentlich davon aus, eine Spieleredaktion habe Expertenwissen über die Branche; dort sitzen Redakteurinnen und Redakteure, die der täglichen News-Flut ihr Wissen entgegensetzen, um beispielsweise Leaks einzuordnen.

Statt den Leak also den offensichtlichen Ungereimtheiten entgegenzustellen, heißt es in aller Ernsthaftigkeit, die Leserinnen und Leser sollen sich doch einfach ein eigenes Urteil bilden. Sogar für spielejournalistische Verhältnisse ist das peinlich.


Tatsächlich lässt sich die Farce noch steigern. Der Fake-Leaker „enthüllte“ neben Infos zu The Elder Scrolls 6 angebliche Details zum Bethesda-Spiel Starfield. Viel war bislang nicht darüber bekannt. Es soll sich um ein Weltraum-Rollenspiel handeln und für Einzelspieler konzipiert sein. Im Leak schreibt der Reddit-Nutzer dann allen Ernstes:

„Multiple alien species you get to meet and interact with.“

Ein Weltraum-Spiel, in dem man mit Aliens interagieren kann – wer hätte damit rechnen können? Weiter behauptet der Leaker, die Starfield-Quests seien einzigartig. Heftig! Und: Die Spieler*innen können so spielen, wie sie es möchten. Für ein Rollenspiel wäre das natürlich ein verdammtes Wunder.

Was keine Redaktion erkennen will, erledigt ein GamePro-User in wenigen Sätzen:

„naja, diese „Gerüchte“ sind doch schon fast Standart!? Das ist so allgemein gehalten dass selbst ich diese „Gerüchte“ streuen könnte ohne in Gefahr zu laufen dass ich daneben liege…“

Absolut nichts sagen die vermeintlichen Infos zu Starfield aus. Es sind Phrasen, Leerstellen. Zum einen will der Leaker kleinste Details zu The Elder Scrolls 6 erfahren haben, kann zu Starfield allerdings nicht eine einzige Spielmechanik benennen. Ein weiteres deutliches Indiz, das nach „Fake!“ schrie.

Da Starfield sich offiziell in einem fortgeschrittenerem Zustand befindet als The Elder Scrolls 6, ist das Fehlen jeglicher Details im Leak somit noch merkwürdiger.


In der an Absurditäten reichen Berichterstattung ist noch längst nicht das Maximum erreicht.

Die Starfield-News von GamePro veröffentlichte die Redaktion zu einem Zeitpunkt, als längst klar war, dass es sich um einen Fake handelt. Am 9. März um 16.34 Uhr ging die News online. Bereits zwei Stunden zuvor gab der Reddit-Nutzer seinen Fake zu.

Und noch immer hat GamePro weder die eine noch die andere News richtiggestellt. Zwei Tage, nachdem der Fake publik wurde, stehen also zwei Meldungen auf GamePro.de, die nicht der Wahrheit entsprechen.

Redaktionen wie PC Games und GIGA Games haben die News bereits richtiggestellt.


Es ist, als würde sich der Spielejournalismus im Kreis drehen. Um die immer gleiche Bullshit-Arbeitsweise. Erst im vergangenen Jahr veröffentlichte ebenfalls ein Reddit-Nutzer einen vermeintlichen Leak, der sich als Fake entpuppte; es war als Experiment geplant, um der Spielebranche zu zeigen, wie gierig sie über Leaks und Gerüchte berichtet. Die gleichen Medien, die mit viel Anlauf, aber ohne Einordnung darüber schrieben, arbeiten nicht mal ein Jahr später noch immer nach den gleichen Richtlinien, die offenbar gar keine enthalten.

Im nachhinein ist es immer einfach, einen Fake-Leak als Fake-Leak zu bezeichnen, mag man nun einwenden. Das ist richtig. Nicht immer sind Gerüchte überprüfbar. Sollten sie allerdings aus dem Nichts kommen, von einem Account oder Namen, der bislang nichts von Relevanz veröffentlicht hat, versehen mit einem popeligen Scherznamen, palavernd über die kleinsten Spielmechaniken – dann muss eigentlich alles klar sein: eine Berichterstattung darf hier nicht stattfinden. Schließlich deutete alles auf einen Fake hin. Es war so offensichtlich.

Im deutschsprachigen Bereich gibt es lediglich eine Redaktion, die sich vehement journalistischen Richtlinien verpflichtet und dies kommuniziert: GameStar, das Schwestermagazin der GamePro. Und GameStar hat richtigerweise nicht über den Leak berichtet. Fehlerfrei ist die Berichterstattung auch dort nicht. Klar als Fake verifizierbare Leaks finden dort allerdings selten statt. Einer journalistischen Überprüfung halten diese Gerüchte schließlich selten stand.

Dass GamePro also zwei Fakes verbreitet und sie auch zwei Tage nach Fake-Bekanntgabe nicht richtigstellt, ist daher nur logisch; journalistische Richtlinien hat die Redaktion bis heute nicht kommuniziert. Anhand welcher Kriterien sie Leaks überprüft – sollte dies überhaupt passieren -, lässt sich nicht nachvollziehen. Bei der Veröffentlichung des GameStar-Kodex‘ wurde GamePro mit keinem Wort erwähnt, obwohl sich beide Magazine das Design und den Chefredakteur teilen.

Warum die Richtlinien aus dem GameStar-Kodex nicht für GamePro gelten? Ein journalistisches Arbeiten ist bei GamePro kaum zu erkennen. Allein in den vergangenen Monaten lassen sich mehrere Beispiele aufzählen, die das verdeutlichen.

Im Juli 2019 hieß es, die Redaktion wolle sich zeitnah in einem Artikel zum Thema News-Berichterstattung äußern und die Vorgehensweise erklären. Das ist bis heute nicht passiert.

Auch andere Magazine wie PC Games, Playcentral und GIGA Games berichten immer wieder über derlei Quatsch. Sie hinterfragen nie. Sie übersetzen nur. Mit einem mahnenden Satz am Ende der News ist es nicht getan. Eine explizite Einordnung muss erklären, warum ein Leak nicht vertrauenswürdig ist, denn sonst ist ein abschließender Satz im Stil von „mit Vorsicht genießen“ nichts wert. Die Verbreitung von Quatsch fand zu dem Zeitpunkt längst statt.

Letztlich bleibt die Gier bei vielen Redaktion das oberste Gebot. Mehr Klicks und mehr Reichweite bedeutet oft mehr Stuss. Transparent aufgearbeitet wird nichts davon, selbst dann nicht, wenn alle journalistischen Regeln missachtet wurden. Der Alltag geht weiter, bis der nächste Fake kommt und die Peinlichkeit seinen Lauf nimmt.

Oder um es mit den Worten von GIGA Games zu sagen:

giga-abschluss

¯\_(ツ)_/¯


Nachtrag, 14.03.2020:

Bereits gestern hat die GamePro-Redaktion die beiden News korrigiert. Über drei Tage nach Bekanntwerden der Falschmeldung. Bei der Starfield-News heißt es:

„Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass die Details rund um Starfield gefaked sind. Das hat der vermeintliche Leaker selbst zugegeben. Damit bleibt es weiter rätselhaft, was uns nun bei Starfield erwartet.“

Das ist falsch. Es hat sich nicht „mittlerweile“ herausgestellt. Der Fake war bereits bekannt, als GamePro die News veröffentlichte. Warum die Redaktion das nicht transparent aufzeigt, bleibt unklar.

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